Call for Papers: Hannah Arendt und Straßenproteste HannahArendt.net 13 (2023)

2022-10-20

Hannah Arendt könnte sehr wohl als eine Denkerin der Krise (oder vielleicht mehrerer Krisen) bezeichnet werden – und die Häufigkeit, mit der sie den Begriff „Krise“ in den Titeln ihrer Schriften verwendete, ist vielleicht der beste Beweis für ihre entsprechende Sensibilität. Dies scheint einer der Gründe zu sein, warum das akademische und öffentliche Interesse an Arendts Schriften in den letzten Jahren stark zugenommen hat, denn so viele politisch akute Herausforderungen verlangen heute nicht nach dogmatischen, sondern nach kritischen und praktischen Perspektiven. Nicht nur ihre Werke, die sich explizit mit revolutionären Praktiken und zivilem Ungehorsam befassen, sondern auch ihre Überlegungen zu Gewalt, Ideologie, gemeinsamem Handeln und nicht zuletzt zu reflektierendem Urteilen erweisen sich als fruchtbar für Theoretisierung der Straßenproteste und verhelfen uns zu einem besseren Verständnis dessen, was tatsächlich geschieht, wenn Menschen auf die Straße gehen.

Straßenproteste haben vielfältige Ursachen. Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihrer politischen Ziele, ihrer Ausdrucksformen und ihrer Auswirkung. Bewegungen wie Black Lives Matter, #RhodesMustFall, die Klimaproteste von Fridays for Future, die Frauenproteste in Iran, Lateinamerika und Polen, die regierungskritischen Straßenproteste in Hongkong, Israel, Peru und Weißrussland, der massenhafte öffentliche Widerstand gegen den Militärputsch in Myanmar, oder die Pro-Oppositionsproteste in Russland (aber auch ihre Gegenstücke wie die Querdenker-Spaziergänge in Deutschland, der Angriff auf das US-Kapitol am 6. Januar in den USA oder der Trucker-Konvoi in Kanada) sind nur einige Beispiele dafür, wie Massenproteste im öffentlichen Raum ausgeführt werden. Obwohl sie in einer Vielzahl von kulturellen, sozialen und politischen Kontexten stattfinden, haben diese Proteste als Phänomen eine Gemeinsamkeit: Sie sind öffentliche Versammlungen verkörperter politischer Subjekte, die in ihrer Pluralität handeln und eines der wichtigsten Merkmale demokratischer Politik zum Ausdruck bringen: Dissens als unveräußerliches politisches Recht.

Für diese Ausgabe suchen wir Beiträge, die Arendts Ansatz der Politik mit dem Thema dieser Ausgabe verbinden, entweder mit Bezug auf spezifische Fälle von Protest oder mit Blick auf die phänomenologische und kritische Struktur der Proteste. Wir wollen mit der Frage nach dem Legitimationsverlust liberaler Demokratien den Blick auf die Ursachen der Krisen lenken, um die theoretische Reflexion über die Gründe und Erscheinungsformen der Proteste zu stärken. Themen wie: Räume des Protests, Sprache/Gegensprache, Gewalt/Gewaltlosigkeit, Verkörperung, Solidarität und Kollektivität sind einige, aber nicht alle Ansatzpunkte, um Straßenprotest mit Hannah Arendt zu theoretisieren.

Abstracts von bis 500 Wörter sollen bis 10. Dezember 2022 wolfgang.heuer@gmx.de oder maria.robaszkiewicz@upb.de geschickt werden. Zur Publikation angenommene Beiträge sollen bis 31. März 2023 eingereicht werden.