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Ausgabe 1, Band 1 – Februar 2005

Arendt im Rundfunk: „Transatlantic Crossings“

Ein Besuch im Bard College bei New York 

Barbara Eisenmann 

„Was für ein Bild hat Europa von Amerika?“, fragt Hannah Arendt in einem ihrer Essays. Was für ein Bild hat Amerika von Europa, lässt sich komplementär dazu fragen. Wie steht es um die europäisch-amerikanischen Beziehungen heute, wo beide Kontinente sich in ei­ner Phase des Umbruchs und der Neudefinition befinden? Wie wird das transatlantische Verhältnis in den USA diskutiert an einem Ort, der an der Geschichte des intellektuellen amerikanisch-europäischen Austauschs mitgeschrieben hat? Das kleine, renommierte Bard College liegt 90 Meilen außerhalb von New York im idyllischen Hudson Valley. Heu­te unterrichtet dort der international bekannte rumänische Schriftsteller Norman Manea als Professor für Europäische Kulturgeschichte. Auf dem collegeeigenen Friedhof befindet sich das Grab von Hannah Arendt und ihrem Ehemann Heinrich Blücher, der in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts am Bard College lehrte. Sie beide hat sich Barbara Eisenmann in ihrem Feature »Transatlantic Crossings« als intellektuelle Führer über den Campus des Bard College gewählt.

Gesendet am 21. Juli 2004 von SWR2 RadioART: Feature

Erinnerungen an Arendt

1. Der Journalist Günter Gaus, dessen Interview mit Hannah Arendt in seiner berühmten Reihe ‚Zur Person’ am 28. Oktober 1964 vom ZDF gesendet wurde. Gaus starb am 14. Mai 2004.

„Das beste Gespräch, das ich je geführt habe, war das mit Hannah Arendt. Es fand 1964 statt. Sie war damals in einer sehr schwierigen Situation. Sie hatte ihr Buch Eichmann in Jerusalem geschrieben, das ihr große Feindseligkeit in Israel eingetra­gen hatte. Ich war mit großem Bangen an dieses Interview herangegangen. Hannah Arendt war eine bedeutende politische Philosophin, und ich hatte gehörigen Respekt. Als ich zum Vorgespräch zu ihr ins Hotel ging, traf ich auf eine außergewöhnlich charmante Dame. Ich habe mich vom Fleck weg in sie verliebt – wirklich. Das hat si­cherlich auf die Qualität des Gesprächs, des Interviews eingewirkt.“

(Aus: „Noch Fragen? Tabuthemen und Blackouts, die Liebe zu den Gästen und das Schei­tern an ihnen: Ein Gespräch übers Gesprächeführen mit Reinhold Beckmann und Günter Gaus“, DIE ZEIT 22.12.2003)

In seinen soeben erschienen Erinnerungen schreibt Gaus:

„Vielleicht wurde mir erst jetzt ganz bewußt, mit welcher intellektuellen Courage sie sich mit ihrem Eichmann-Buch gegen die herrschende Meinung in der jüdischen Weltöffentlichkeit gestellt – die Öffentlichkeit jenes Volkes, zu dem sie sich ganz zu­gehörig fühlte, was für sie aber erst in ihrer freimütigen Distanzierung vom Herr­schenden seinen Ausdruck fand (…) Jahre später las ich in dem Briefwechsel zwi­schen Hannah Arendt und Karl Jaspers, was sie im Oktober 1964, dem Monat unse­res Interviews, an ihren in Basel lebenden alten Lehrer geschrieben hatte: ‚Ich hatte den Eindruck, viel zu spontan gesprochen zu haben, weil ich den Gaus so gut leiden konnte.’“

(aus: Günter Gaus, Widersprüche. Erinnerungen eines linken Konservativen, Berlin: Propyläen 2004, S. 203. – Der Brief an Jaspers ist vom 25. Oktober 1964)

 

2. Der Schriftsteller Robert Lowell:

 

„[...] I want to send you a few books or two at least. Hannah [Arendt]'s book on revo­lutions is somewhat diffuse and theoretical but is full of things that give me pause and I think we would both feel. She approves of the American Revolution but finds it somehow somewhat abstract and inspired no serious thought after Jefferson and the founders. The French Revolution however which she thinks doomed to violence and tyranny began with pity for the miserable, set up standards of violence and unlimited desire and has inspired generations of thinkers. She is wonderful on how sentiments of compassion get changed into blood power-lust and dictatorship. This is a very garb­led way of expressing her dense thought, but she brings home to me frightenin­gly how certain redcapped liberal feelings can go with a sinister acceptance of the ter­rible. [...]“

(an Elizabeth Bishop, New York, March 10, 1963, veröffentlicht in: The New York Review of Books, vol. L, no. 17, November 6, 2003 [40th Anniversary Issue], p. 12)

 

3. Ryszard Kapuscinski

„Mittagessen mit Helen Wolf im griechischen Restaurant ‚Xenia’ auf der 2. Ave. He­len erzählt von ihrer Freundin Hannah Arendt. Sie war so weiblich, so warm, sagt Helen. Einmal wurde sie gefragt, wie sie sich als Frau fühle? Ach – antwortete Han­nah – ich habe mich daran gewöhnt! Ich frage sie, ob sie nicht gesammelten Werke Hannah Arendts herausgeben wolle. Nein – antwortet sie betrübt – die würde hier keiner kaufen.“

(Aus „New York 1983“, in: Lapidarium, Frankfurt 1992, S. 79)

 

4. Chalmers Johnson

 

Interview with Chalmers Johnson: From CIA Analyst to Best-Selling Scholar

„My introduction to moral philosophy came from Hannah Arendt during the one year she taught at Berkeley. Later, she was the discussant on my first essay on the theory of revolution that led to a subsequent book. I’ll never forget when she said, <You’re right, but you write abominably. Hobbes said all this better than you have. But, nonet­heless, nice try for a kid. You are on the right track.> It was very flattering.“

(May 29, 2004, by Nic Paget-Clarke for In Motion Magazine in Cardiff, California. ww­w.inmotionmagazine.com/global/cj_int/cj_int2.html)

Chalmers is the author of a dozen books concerning East Asia and political violence, in­cluding Revolutionary Change including Blowback: The Costs and Consequences of Ame­rican Empire and his His new book The Sorrows of Empire: Militarism, Secrecy and the End of the Republic 2004.

"Arme Hannah" oder Die Karriere eines Unzitats

Johannes Rau liebt den Satz: "Politik ist angewandte Liebe zur Welt“, und er schreibt ihn Hannah Arendt zu, die ihn so aber nie zu äußern gedachte. Während der fünften „Han­nah-Arendt-Tage“ in Hannover 2002 sagte der damalige Bundespräsident:

„Einen Satz von Hannah Arendt, der mir besonders wichtig ist und mich schon lange Zeit begleitet, möchte ich ganz an den Anfang meiner Überlegungen stellen: ‚Politik ist angewandte Liebe zur Welt’.“

(Presse- und Informationsamt der Bundesregierung "REGIERUNGonline" - Wissen aus ersten Hand Bulletin. Veröffentlicht am: 13.11.2002)

Rau verwendete diesen Satz immer wieder, so 1999 bei seiner Antrittsrede bei der ge­meinsamen Sitzung von Bundestag und Bundesrat am 1. Juli 1999 in Bonn:

"In der Politik geht es nicht um letzte Wahrheiten, sondern um richtige Lösungen. Der politische Streit sollte jeweils um die Frage gehen, welcher Vorschlag der beste ist im Interesse aller oder im Interesse der vielen. Nur dann kann etwas von dem auf­scheinen, was Hannah Arendt in die Worte gefasst hat: 'Politik ist angewandte Liebe zur Welt.'“ (www2.rz.huberlin.de/francopolis/Sim.IV99/Antrittsrede.htm)

Auch schon 1993 liebte er, diesen Satz zu zitieren, wie der Journalist Ulrich Rosenbaum in seinem 1993 bei Ullstein erschienenen und vergriffenen Buch Rudolf Scharping aus­führte. In einer Passage über den Essener Sonderparteitag am 25. Juni 1993 schreibt er:

"Hertha Däubler-Gmelin und Johannes Rau sprechen zuerst. Rau, der Interimsvor­sitzende seit dem Rücktritt von Engholm, mahnt an, daß die SPD 'Schutzmacht der kleinen Leute' bleiben müsse. 'Wir tun', sagt er, 'unsere Arbeit nicht um unserer Pro­gramme willen und auch nicht um unserer Karrieren willen, sondern wir tun sie, weil wir den Alltag der Menschen zum Besseren verändern wollen.' Und er zitiert Hannah Arendt: 'Politik ist angewandte Liebe zur Welt.' Sicher eine Idealvorstellung, das Sonntagsbild von einem Politiker, aber auch bewußt als Meßlatte für den künfti­gen Parteichef gesetzt. Scharping sitzt auf dem Podium an seinem Platz in der zwei­ten Reihe, hört zu, arbeitet aber immer wieder an seinem Redemanuskript."

In der SPD kursiert inzwischen dieser Satz, so auf der Homepage der SPD-Frau Brigitte Hackl aus Köln-Delbrück:

'Der Reiz der Kommunalpolitik liegt für mich darin, Lösungen für Probleme zu su­chen, die uns allen täglich begegnen. Die Soziologin Hannah Arendt hat einmal ge­schrieben: 'Politik ist angewandte Liebe zur Welt.' Ich finde: Für Kommunalpo­litik trifft dies in besonderem Maße zu. Denn hier geht es um das, wasin unserer un­mittelbaren Nachbarschaft passiert." (www.treffpunkt-meilen.de/spdbv.html)

Inzwischen erfuhr dieser Satz eine ungeahnte christdemokratische Überhöhung am Tat­ort Erfurt, als ein Schüler Lehrer, Mitschüler und anschließend sich selber erschossen hatte. Die Mainzer Bistumsnachrichten berichteten von der Rede des Ministerpräsiden­ten Vogel:

„Das Verbrechen von Erfurt und die Reaktionen darauf haben auch gezeigt, <dass wir uns neu bewusst werden müssen, wie wichtig die Achtung vor der unveräußerli­chen Würde eines jeden Menschen ist>. Nach christlichem Glauben sei der Mensch von Gott als sein Ebenbild geschaffen und mit einer einmaligen und unveräußerli­chen Würde ausgestattet. Dies habe auch Konsequenzen für die Politik, betonte Vo­gel. Er zitierte ein Wort von Hannah Arendt: 'Politik ist angewandte Nächsten­liebe.'“

(Mainzer Bistumsnachrichten Nr. 16, 15. Mai 2002)

Und in seiner Dankrede bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Catholic Universi­ty of America erklärte er am 13.11.2002:

„Here in the United States and in Germany we have politicians who align their acti­ons with their Christian belief and Christian value system, or at least make the effort to do so. Hardly anyone has better identified the guideline for political action in ser­vice of the people and future generations than Hannah Arendt: "Politics is applied Love of Thy Neighbor!" Her statement is provocative but to the point.“

(www.thueringen.de/de/index.asp?unten=http://www.thueringen.de/de/politisch/lan­desregierung/ministerpraesident/ministerpraesident_a_d/reden/04352/uindex.html)

 

Dass sich dieses angebliche Zitat als so "griffig" erwiesen hat, sowohl für politische Feier­tagsreden als auch für Krisensituationen, liegt in seiner jede Genauigkeit und Differenzie­rung negierenden Vereinheitlichung. Und es ist daher auch nicht verwunderlich, dass die Jüdin und Liebhaberin der klassischen griechischen Philosophie sich unversehens als Vertreterin der christlichen Nächstenliebe wiederfindet. Tatsächlich hat sich Hannah Arendt vehement gegen die Nächstenliebe als politische Kategorie gewehrt. Liebe "ver­brennt" den Raum des Zwischen den Menschen, der trennt und verbindet und der gerade wegen dieser paradoxen Struktur der pluralen Verfasstheit der Menschen angemessen ist. Wenn sie dennoch ein von ihr geplantes und nicht realisiertes Buch über die politischen Theorien "Amor mundi" nennen wollte, so ist das im Sinne der antiken politischen Tradi­tion gemeint, deren "Sinn" sie in der "Freiheit des Miteinanderredens" sah, wohingegen das Private als "idiotisch" erschien, weil ihm diese Vielfalt versagt war.

 

Wolfgang Heuer

„Arme Hannah" oder Von der Banalität zur Hannahlität des Bö­sen

Selten genug fragt der Zeitgenosse wirklich nach Hannah Arendt. In Rufweite sitzen die Tragikomiker von Schmitt bis Strauss und nach wie vor die Klassiker von Hobbes bis Kant. Dagegen steht der Sinn nach Arendt immer dann, wenn der Stabreim «Banalität des Bösen» angesagt ist. Der bitterböse Untertitel von «Eichmann in Jerusalem» lizen­ziert philosophische Trivialaussagen über das Böse. Wenn Arendt auch sonst auf den Tep­pichetagen von Macht, Reichtum und Wissenskunde nicht wirklich etwas zu sagen hat, mit ihrer «Hannahlität des Bösen» ist Arendt legendär. Neben Schillers Axt hat sie jeder­mann im Haus, auch wenn er sich alles Weitere erspart oder entrümpelt hat. Das jüngste Beispiel macht die FAZ vom 3. Juni 2004.

 

«Das banale Böse

 

Schockierend ist nicht wirklich die moralische Verruchtheit. Spätestens seit Hannah Arendt wissen wir, wie einfache Menschen zum Bösen geraten. Kriegszustände bieten im­mer Rahmen, in denen normale Menschen zu Grausamkeiten bereit sind, die sie kaum als Grausamkeiten erkennen – Grund genug, den Krieg als allerletzte Handlungsmöglichkeit zu betrachten. Dieses Beispiel des banalen Bösen anhand einiger Soldaten dürfte uns also wenig überraschen, wohl aber die Mischung aus Arroganz und Dummheit, mit der die Bush-Regierung ihre Aufgaben anpackt.»

Dieses prächtige Exemplar von «Hannahlität» findet sich in Susan Neimans Artikel «Danke, Schröder!» einer hintergründigem Hymne auf Kanzler Schröder, vor allem aber auf dessen neues selbstbewusstes Deutschland. „Nicht wirklich“ schockiert zeigt sich Frau Neiman über jene «Bilder» aus Bagdad, die den neusten Wonnemonat lang den totalen Thinktank- und Talkstoff geliefert  hatten. Im Denken des Bösen kennt sich Susan Nei­mann, die Direktorin des Potsdamer Einstein Forums, von Berufs wegen eigentlich aus, lehrte sie doch Philosophie in Yale und an der Universität von Tel Aviv, und ist sie doch Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Und – schrieb sie doch vor kurzem Das Böse denken. Eine andere Geschichte der Philosophie. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004 ISBN 3518583891.

Nach der zitierten FAZ-Stelle empfiehlt mir das gesunde Vorurteil das Buch von Nei­man zum Nichtlesestoff des Jahres. Warum so böse? Einfach weil „Spätestens seit Han­nah Arendt wissen wir, wie einfache Menschen zum Bösen geraten.“

 

Sebastian Hefti