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Ausgabe 1, Band 12 – Dezember 2022



Editorial

Als diese Ausgabe von HannahArendt.net geplant wurde, hat niemand an einen neuerlichen Krieg in Europa gedacht, wie er nun schon seit fast einen Dreiviertjahr zwischen Russland und der Ukraine mit Auswirkungen für die ganze Welt und ihre Verhältnisse tobt, kosmopolitische Wirkung zeigt und doch die Möglichkeit und Wirklichkeit von Weltbürgertum auf seine Weise ganz real in Frage stellt, gleichzeitig Weltbürgerlichkeit auf das Dringlichste einfordert und immer dort, wo Menschen geholfen wird, dieselbe auch wieder ebenso real bestätigt.

In einer Welt, die mit Hochdruck nurmehr auf verschiedenen Ebenen damit beschäftigt sein müsste, die Folgen eines menschengemachten Klimawandels einzudämmen, Umwelt zu schützen, Ressourcen zu schonen, Vielfalt zu fördern, belastete, reduzierte und geschädigte Natur – so gut wie möglich – wiederzubeleben, erscheinen Kriegshandlungen, die alle Kraft, Energie und Mittel auf sich ziehen, noch verwerflicher als sie es ohnehin schon sind. Sie sind weltbedrohlich – auch ohne Atomkraft.

Wenn nun in einer solchen Lage, eine HannahArendt.net-Edition Artikel zum Kosmopolitismus versammelt, deren hauptsächlicher Zugang zur Thematik philosophisch ist, mag das in Auseinandersetzung mit einer Person, die als politische Theoretikerin zur Weltberühmtheit gelangte, verwundern und fast naiv anmuten. Doch neben der Kontingenz der Einsendungen auf einen „Call for paper“ greift dies u.U. derzeit einen virulenten Punkt. Die Dauerkrisenlage der gegenwärtigen Welt, geschüttelt von Pandemien, gesellschaftlicher Unruhe und kriegerischen Auseinandersetzungen erfordert in der Tat vielleicht ganz grundsätzliche Reflexionen auf das, was sprichwörtlich „die Welt im Innersten zusammenhält“, zumindest lässt sich dies als Bedürfnis in kritischer Situation gut verstehen und nachvollziehen, aber vor allem bedarf es wohl kritischer Überlegungen, wie wir besser agieren und uns entwickeln können, als dies derzeit der Fall ist. Das zum Bonmot gewordene Zitat aus Faust ist dabei jedoch weder bloß erkenntnistheoretisch auf Natur bezogen, und noch weniger schwärmerisch zu verstehen, sondern bezieht sich hier auf eine Welt, in der der Aspekt einzelner und gemeinsamer Verantwortung für dieselbe und fur einander immer stärker hervortritt, gleichsam als Perspektive, die von der einen Welt ausgeht, in der wir alle leben und für deren Erhalt wir – ökologisch und politisch – verantwortlich sind. Das gemeinsame Teilen der Welt bezieht sich eben nicht nur auf die guten und glücklichen Umstände, sondern immer vor allem auf ihre Prekarität, an der die Frage nach der möglichen Teilhabe, wie der möglichen Verantwortung für alle Umstände stets aufbricht.

Zudem ist das Kosmopolitische als Gegenstand insbesondere der politologischen und soziologischen Betrachtung und Diskurse bekannt und virulent, der philosophische Blick darauf jedoch – bei Arendt, aber auch überhaupt – weit weniger. Er kann im Folgenden weiter entdeckt werden. Ob er etwas am Kosmopolitismus selbst entdeckt, etwas Anderes oder gar Neues, bleibt dem Urteil der kritischen Lektüre der lesenden Weltbürger*innen überlassen und anheimgestellt.

Wenn uns die vorgestellten Aufsätze daran zu erinnern vermögen, dass wir allesamt Weltbürger*innen sind oder wenigstens sein sollten, wäre vielleicht schon viel gewonnen.

Doch diese Ausgabe kann nicht ohne eine weitere Bemerkung erscheinen. So wenig, wie der Krieg in Europa absehbar war, so wenig war es der Verlust von Ursula Ludz, die bis in den August hinein aktiv auch noch an dieser Ausgabe mitgewirkt hat. Sie war weit mehr als eine Säule von HannahArendt.net und auch weit mehr als eine zentrale Persönlichkeit innerhalb der internationalen Hannah Arendt-Forschung. Mit ihr hat die Welt zweifelsohne eine Weltbürgerin verloren.

Sie fehlt.

Die Redaktion