header image

Ausgabe 1, Band 9 – November 2018

 

Arendts Hobbbes

Rainer Miehe, Jenseits und Diesseits der Herrschaft. Thomas Hobbes‘ politische Philosophie im Urteil Hannah Arendts, Traugott Bautz 2015, 345 S.

Das Thema, dem sich Rainer Miehe in seinem Buch „Jenseits und Diesseits der Herr­schaft. Thomas Hobbes‘ politische Philosophie im Urteil Hannah Arendts“ stellt, ist über­aus spannend und von großer Bedeutung. Denn in der Arendt-Forschung wird eher selten auf Hobbes eingegangen. Die Gestaltung des Themas ist aber enttäuschend. Auf weiten Strecken ist Hobbes‘ Leviathan Gegenstand der Analyse des Autors oder anderer Hobbes-Experten wie Herfried Münkler oder Leo Strauss, einen längeren Dialog zwischen Arendt und Hobbes gibt es an keiner Stelle. Häufig ist Arendt Stichwortgeberin einer Interpreta­tion, die eilfertig widerlegt wird, ohne dass ihre Argumente weiter entfaltet werden. Das ist besonders deutlich in der Widerlegung ihrer angeblichen Position, Hobbes sei ein Vor­läufer des Totalitarismus. Gemeint ist die Darstellung im 5. Kapitel von Elemente und Ursprünge totaler Herschaft über den Imperialismus. Diese Formulierung wird man aber in Arendts Text nicht finden, ebenso wenig kann die Darstellung Arendts mit dieser Charakterisierung auf den Punkt gebracht werden. Im Gegenteil: Arendt hat sich in der Kontroverse mit Voegelin entschieden gegen eine solche Interpretation gewehrt: „It does not exist before it has not come into being.“ In ihrer Analyse handelt es sich bei den totali­tären Auflösungserscheinungen der Staat­lichkeit nicht um das Wiederaufleben eines Na­turzustandes des Kampfes aller gegen alle, ebenso wenig wie die entsprechenden von Hobbes geschilderten Auseinandersetzungen als Vorläufer betrachtet werden können. Es geht beim Totalitarismus um die Vorahnung eines neuen nomos  der Welt, um ein Grund­muster der Entwurzelung und Auflösung politischer Formen, das in der bisherigen Ge­schichte ohne Beispiel ist. Diese findet man in dem letzten Abschnitt über „Die totalitäre Herrschaftsform“.

Gerade was den Leviathan betrifft, ist es schade, dass der Autor sich nur auf veröffent­lichte Texte Arendts bezieht und den Nachlass nicht berücksichtigt. Die Subtilität ihrer Interpretation lässt sich ganz anders wahrnehmen, wenn man ihre sorgfältigen Lektüren des Leviathan anhand ihrer Anstreichungen und Kommentierungen nachvollzieht, die do­kumentiert sind in den vom Bard-College veröffentlichten Marginalia. Dokumentiert sind ihre Lektüren des Leviathan und des Buches von Leo Strauss über Hobbes. Von diesen Doku­mentationen scheint der Autor aber nichts zu wissen. Weder tauchen sie in der Darstel­lung noch im Literaturverzeichnis auf. In diesen Kontexten kann man aber ge­nauer nach­vollziehen, auf welche Entwicklungen von Hobbes Arendt ihre Aufmerksam­keit richtet und wie sie sie bewertet. Es ergibt sich ein komplexeres Bild von Hobbes‘ Be­wältigungsstrategien gesellschaftlicher Widersprüche.

Von der Vita activa bis zu Wahrheit und Politik ist es der Ansatz des Autors, das Of­fensichtliche an Übereinstimmungen zwischen Arendt und Hobbes, z.B. die Orientierung an der Wissenschaft des 17. Jaahrhunderts, die Beziehung Hobbes-Descartes, zum Maßstab der Be­urteilung zu machen, der die weitere Darstellung in konventionelle Überlegungen lenkt. An der Art und Weise, wie auf Affinitäten und Differenzen zwischen Arendt und Hobbes in den Konzeptionen von Philosophie und Politik hingewiesen wird, lassen das schillernde Gemisch von interessanten Ankündigungen und apodiktischer Ein­lösung, die die Argumentation insgesamt prägt, deutlich hervortreten. Es geht um die Be­griffe Pluralität, Wahrheit und Politische Philosophie, von denen es heißt, dass sie im Zentrum des Denkens sowohl von Hobbes als auch von Arendt gestanden haben. So habe Hobbes zum Beispiel den Begriff der Pluralität „durchaus gesehen, für seine Konzeptio­nen jedoch ausgeklammert, um die Stringenz seiner Vertragslösung als nahezu unaus­weichliches  Resultat darlegen zu können“ (S. XXXIII). So weisen Hobbes' Auffassung, dass nur das „Können mittels Herrschaft“ und Arendts „ politische Freiheit unter­scheidet sich von der philosophischen Freiheit, dass sie eindeutig eine Sache des Ich-Kann und nicht des Ich-will ist“ (p. XXIII), auf signifikante Übereinstimmungen, die aber nur angekündigt und nicht als Argumente entfaltet werden.

Das Hobbessche Denken neu auszurichten, auf das weniger Arendt, wie der Autor be­hauptet, sondern er selbst zielt, ist ein weiteres gravierendes Missverständnis, mit dem er seine Betrachtungen schließt. Arendts Denktagebuch wird im Zusammenhang mit dem Leben des Geistes behandelt. Tatsächlich bezieht sich aber der Hauptteil der Eintragun­gen im Denktagebuch auf die 1950er Jahre. Ihnen kann man entnehmen, dass Arendt die Frage nach der politischen Philosophie problematisiert. Stellt man sie aber unmittelbar in den Kontext ihrer späteren Überlegungen zu Kants Urteilskraft, dann kann man den Ein­druck gewinnen, Arendt arbeite an dem Entwurf einer politischer Philosophie. Es ist kenn­zeichnend, dass die einschlägigen Zitate, die das belegen sollen, auch nicht von Arendt kommen, sondern von Interpretationen zu Arendt. An der Stelle, wo man ein Re­sümee des Autors erwartet, gibt es reichlich Zitate aus der Sekundärliteratur. An vorders­ter Stel­le von  Ernst Vollrath, dessen kluge Überlegungen zu Arendts Urteilskraft den theoreti­schen Ort der Urteilskraft in Arendts Entwurf der geistigen Vermögen herausar­beitet. Vollrath bezieht sich vor allem auf Arendts bereits vollzogene Distanzierung von der politischen Philosophie, die Willensfreiheit und Handlungsfreiheit gleichsetzt. Voll­raths Resümee heißt, dass das Urteilen bereits eine eigene Art des Handelns sei: „Das Ur­teilen ist handlungsbefähigend, weil sie selbst ein Tun und ohne logischen Zwang mit dem Han­deln befreundet ist.“ (S. 262) Aber mit was für einer Handlungsbefähigung ha­ben wir es hier zu tun? Es ist eine Befähigung, soweit sie im Rahmen der politischen Phi­losophie ge­dacht werden kann, die sich auf die Möglichkeiten und Grenzen des Einzelnen beziehen.

Arendt wollte jedoch noch auf etwas Anderes hinaus, und dieses Andere ist der Zwi­schenraum, der zwischen den Urteilenden und Handelnden entsteht und der durch keine Reflexion des Einzelnen erfasst werden kann. Damit beginnt sie einen Denkweg, der sie von der Macht und Sicherheit der theoretischen Welt, in der das Selbst im Mittelpunkt steht, zu einer Welt des Zwischen führt, die wesentlich aus dem Bezugsgewebe menschli­cher Beziehungen besteht und durch die Flüchtigkeit und Unwägbarkeit seiner Wirklich­keit charakterisiert ist. Das Politische, so Arendt, ist eigentlich Nichts und daher im Ge­gensatz zum Denken und Herstellen darauf angewiesen, dass „Freiheit dauernd neu betä­tigt wird, dass neue Anfänge gleichsam dauernd neu in das einmal Begonnene nachströ­men. Denn das Resultat des Handelns ist nicht ein Gegenstand, der, ist er erst einmal konzipiert, auch herstellbar ist. Das Resultat hat eher den Charakter einer Geschichte, die so lange weitergeht, als gehandelt wird, deren Ende und Endresultat aber keiner, auch nicht der, welcher die Geschichte anfing, voraussehen und konzipieren kann. Durch das Freisein und Anfangen-können entsteht zusammen mit den Geschichten, in denen sich das Handeln und handelnde Verstehen manifestiert, der eigentliche Raum des Politi­schen, der sofort wieder zu verschwinden beginnt, auch wenn das „institutionell-organi­satorische Gerüst, das ihn einschließt, intakt bleiben sollte, wenn das Handeln dem Sich­verhalten und Verwalten Platz macht.“ Die Geschichte des Handelns und des handelnden Verstehens ist entschieden komplizierter und unwägbarer, als der Autor das mithilfe von Hobbes wahrhaben will. Schade! Dennoch macht die Arbeit auch neugierig auf einen Hobbes, der mehr zu bieten hat als das bellum omnia contra omnes und der daher für Leo Strauss der politische Philosoph sans phrase war.

Ingeborg Nordmann