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Ausgabe 1, Band 8 – April 2016

 

Arendt-Korrekturen.

Judith Shklars kritische Perspektive auf Hannah Arendt

Hannes Bajohr*

 

Seyla Benhabib schrieb einmal, Judith Shklar lese Hannah Arendt »in so vielen Fragen gegen den Strich, dass eine detailliertere Untersuchung ihrer Ansichten nötig wäre«.1 Eine solche Untersuchung steht noch immer aus, auch wenn es fast zur Regel geworden ist, dass eine Behandlung Shklars unweigerlich auf Arendt führt. Wenn das geschieht, dann selten, um die Arendt-Lektüre Shklars zu entwickeln, sondern eher, um beide ent­weder als biografische Zwillingsfiguren oder als philosophische Gegenbilder zu konstruie­ren. Im Folgenden möchte ich kurz zeigen, welche Probleme entstehen, wenn man Shklar, von einigen wenigen ihrer Schriften extrapolierend, allein als Kontrast zu Arendt begreift; anschließend will ich versuchsweise vorschlagen, wie stattdessen die von Benhabib gefor­derte genauere Betrachtung aussehen könnte, auch wenn ich hiermit nur eine Vorarbeit zu einer solchen Untersuchung leisten will.

I.

Meist ist es die biografisch-soziologische Perspektive, die, trotz eines Altersabstands von 22 Jahren, den Vergleich zwischen Shklar und Arendt bestimmt.2 In der Tat liegt ein sol­cher Bezug nahe, aber die Gründe dafür mögen verschiedene und verschieden legitim sein, denn oft sind es zunächst recht oberflächliche Parallelen – beide Frauen, beide jüdi­sche Flüchtlinge, beide gar im Baltikum aufgewachsen und gegen systemische Widerstän­de erfolgreich an amerikanischen Universitäten aufgestiegen –, die mit assoziativer Macht die Figuren Shklars und Arendts zusammenführen. Aber die ohnehin nur in Man­chem parallele Biografie zum Erklärungsmuster theoretischer Nähe und Distanz zu erhe­ben, stößt schnell an eine Grenze, wenn der Lebensweg zur Teleologie des Werks zu wer­den droht.3
Seltener folgt auf diese biografischen Vergleiche die Betonung der philosophischen Unter­schiede. 4 Hier herrschen Kontraste vor, wie etwa bei Dana Villa, der eine kategorische »Kluft zwischen Arendts politischer Philosophie und der Judith Shklars« behauptet, die auf die Hypostasierung des Gegensatzes zwischen einer ›Erzliberalen‹ und einer ›Erzre­publikanerin‹ hinausläuft. Villa besteht darauf, dass Arendts Philosophie den Liberalis­mus transzendiere, indem sie »sehr viel mehr erreicht als lediglich ›das Schlimmste zu verhindern‹ (um Judith Shklars Formulierung zu benutzen)«.5 In ihrem Liberalismus der Furcht hatte Shklar in der Tat Grausamkeit und Furcht als jenes höchste Übel bestimmt, das eine liberale Politik mit allen Mitteln einzuhegen habe. Arendt dagegen schrieb in Über das Böse:
[…] das Leben als das Höchste Gut anzusetzen ist […] fragwürdig; denn all Ethiken, die christlichen wie die nicht-christlichen, gehen davon aus, daß das Leben für sterb­liche Menschen nicht das höchste Gute ist, daß im Leben immer mehr auf dem Spiel steht als die Aufrechterhaltung und Hervorbringung lebendiger Organismen.6
Villa führt aus, dass es dementsprechend den größten Unterschied mache, »ob man seine politische Theorie auf die Erfahrung von Terror und Einsamkeit oder auf die Erfahrung von Furcht und Grausamkeit baut.«7 Nicht Furcht oder Grausamkeit nämlich seien für Arendt das summum malum, sondern »der totalitäre Versuch, menschliche Wesen nicht nur ihrer Freiheit und Würde zu berauben, sondern ihrer Welt«, in der ein lebenswertes Leben – und das heißt stets: ein republikanisch-politisches – überhaupt stattfinden kann.8 Für Villa bildet sich der Gegensatz von Liberalismus gegen Republikanismus auf dem von Lebens- gegen Weltsicherung ab – mit Shklar und Arendt als deren je reinsten Vertreterinnen.
Nun wird diese Interpretation nicht erst fragwürdig, wenn man darauf hinweist, dass das Leben als höchstes Gut anzunehmen und Furcht und Grausamkeit als höchste Übel keinesfalls dasselbe sind, oder dass Arendts ›Hervorbringung lebendiger Organismen‹ als zoé der Spezies wenig mit Shklars ›Leben‹ als furchtfreiem Amlebensein als Vorausset­zung eines jeglichen Lebensentwurfes zu tun hat.9 Sie wird bereits dann unplausibel, wenn man Hannah Arendts eigenes Werk heranzieht. Denn Arendt schrieb in den Fünfzi­gerjahren über die sekundären Gefahren des Totalitarismus, über jene, die nicht ihm selbst entspringen, sondern dem Umgang seiner Gegner mit ihm. Werde diese extremste aller Herrschaftsformen zum größten Übel schlechthin, zum absoluten Maximum aller Verwerflichkeit und dem negativen Ziel allen politischen Handelns, dann bestehe die Ge­fahr, all die kleineren Übel zu übersehen, sie gar der Bekämpfung des größten Übels will­fährig zu opfern und so in antitotalitärer Gesinnung repressive Politik zu betreiben. Denn zwar sei es der Fall, dass »alle anderen Übel, verglichen mit dem Totalitarismus, selbst­verständlich geringere Übel« seien. Allerdings:
Die Schwierigkeiten beginnen dann, wenn man zu dem Schluss kommt, dass kein ›geringeres‹ Übel der Bekämpfung wert ist. Manche Gegner des Totalitarismus sind sogar schon dazu übergegangen, bestimmte ›geringere Übel‹ zu loben, weil die noch nicht lang zurückliegende Zeit, als diese Übel eine Welt beherrschten, die von dem schlimmsten aller Übel noch nichts wusste, sich im Gegensatz dazu wie die gute alte Zeit ausnimmt.10

Unterhalb des letzten Übels bleibe gewissermaßen nichts Übles mehr übrig und der Kata­log des Verdammenswerten würde durch seine Absolutheit alle Relation, alle Angemes­senheit und damit schließlich alle Legitimation verlieren.

Die selbstverständliche Schlussfolgerung aus wahrer Einsicht in ein Jahrhundert, das mit der Gefahr des größten Übels so belastet ist, sollte die radikale Ablehnung des Konzepts des kleineren Übels in der Politik sein, denn weit davon entfernt, uns vor den größeren zu schützen, haben uns die kleinen Übel ausnahmslos in sie geführt. Die größte Gefahr dabei, den Totalitarismus als den Fluch des Jahrhunderts anzuer­kennen, bestünde darin, von ihm besessen zu werden, bis hin zur Blindheit gegen­über den vielen kleinen und nicht ganz so kleinen Übeln, mit denen der Weg zur Höl­le gepflastert ist.11
Es mag verwundern, Arendt sich hier für die Beschäftigung mit den kleinen Übeln einset­zen zu sehen. Das nicht allein deshalb, weil Arendt als Theoretikerin des Totalitarismus hier ihr eigenes Forschungsobjekt zu dezimieren scheint und sich eine solche angemahnte Beschäftigung mit diesen kleinen Übeln in Arendts Werk nicht findet. Wer sich mit der Geschichte des amerikanischen politischen Denkens auskennt, wird diese Analyse aber gerade in Judith Shklars Buch Ganz normale Laster (1984) entdecken. Dort erscheint ebenjener Katalog der Übel, ihrer Relation und Ordnung, den Arendt dem höchsten Übel nicht aufzugeben gefordert hatte: Shklar scheint ein Arendt’sches Programm umzusetzen. Es ist noch nicht einmal klar, ob Arendt sich in der Beurteilung der Grausamkeit als höchstem Übel nicht sogar Shklar hätte anschließen können. Das lässt zumindest eine Stelle aus Über das Böse ahnen, die sich verbatim auch in Ganz normale Laster oder Der Liberalismus der Furcht finden könnte:12
Gewiß, der Katalog der menschlichen Laster ist alt und inhaltsreich, doch kommt ei­genartigerweise in einer Aufzählung, bei der weder Völlerei noch Faulheit (im Grunde kleinere Vergehen) fehlen, der Sadismus, das reine Vergnügen an der Erzeugung und Be­trachtung von Schmerz und Leid, nicht vor, das heißt das eine Laster, das wir berechtig­terweise als das Laster der Laster bezeichnen können und das während ungezählter Jahr­hunderte nur in der pornographischen Literatur und in der Malerei des Abartigen be­kannt war. Es mag immer recht alltäglich gewesen sein, aber üblicherweise war es ins Schlafzimmer verbannt und wurde nur selten in den Gerichtssaal hineingetragen.13
Zwar nimmt sich Shklar in acht, Grausamkeit nicht mit Sadismus gleichzusetzen – der für sie als Pathologisierung auch Neutralisierung des zu Verstehenden bedeutete14 – doch die Idee, die »Erzeugung und Betrachtung von Schmerz und Leid« für das »Laster aller Laster« zu halten, rückt Arendt mit einem Mal in die Nähe der Shklar’schen Argumentati­onslinie.
Ganz gleich, ob man sich also der Frage nach einem alle anderen Übel relativierenden Übel oder der Bestimmung des dennoch höchsten Übels zuwendet: Villas holzschnittarti­ge Differenzierung zwischen Arendt und Shklar trägt nicht. Die Frage nach dem höchsten Übel ist nicht die zentrale Unterscheidung, und wäre sie es, unterschiede sich die Antwort wohl nicht sehr. Statt große, dichotome Schismen zu behaupten, ist es sinnvoller, sich mit den kleinen Einsprüchen zu befassen, die Shklar gegen Arendt erhob und die sich nicht restlos unter ›Liberalismus‹ und ›Republikanismus‹ rubrizieren lassen.15 Statt fundamen­talkritischer oder weltanschaulich umfassender Angriffe zielte Shklar nämlich eher auf Arendt-Korrekturen und warf – gelegentlich grelle, aber oft gerade dadurch aufschluss­reiche – Schlaglichter auf Arendts Schwächen: auf ihre metaphysischen Fundamente, ihr Geschichtsverständnis, den fragwürdigen Status des Opfers, der Verklärung der Amerika­nischen Revolution und der Ablehnung eines prozeduralistischen Politikbilds. Im Folgen­den will ich mich hier zunächst nur auf die früheste Kritik konzentrieren, die Shklar gegen Arendt als Totalitarismustheoretikerin vorbrachte, die aber dennoch viele ihrer späteren Punkte bereits vorwegnahm; anschließlich gebe ich mit Shklars Kritik an Arendts Ge­schichtsbild und ihrem »realistischen Imperativ« einen Ausblick auf die weitere Entwick­lung ihres theoretischen Projekts eines nichtromantischen, postfundamentalistischen und postmetaphysischen Liberalismus.

II.

Judith Shklar hat sich ihr Leben lang mit Hannah Arendt beschäftigt. Das einerseits ex­plizit, als Gegenstand zweier Rezensionen, zweier Zeitschriftenartikel und eines Nach­rufs,16 andererseits aber in den großen Linien ihrer Bücher: Den meisten Werken Arendts lässt sich, eben als Arendt-Korrektur, eines von Shklar entgegenstellen. Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft (1951) findet in Shklars After Utopia (1957) eine Antwort als Auseinandersetzung mit den ideologischen Bedingungen und Folgen des Totalitaris­mus; Shklars Legalism (1964), eine Untersuchung der Nürnberger und der Tokioter Kriegsverbrecherprozesse, erschien fast zeitgleich mit Arendts Eichmann in Jerusalem (1963) und dieses Buch wird heute als Alternativlesart politischer Prozesse wiederent­deckt;17 schließlich ist American Citizenship (1991) ein echtes Komplement zu Über die Revolution (1963), mit dem Shklar Arendt in Fragen der Amerikanischen Revolution und Staatsbürgerschaft korrigiert.18

All diese Konfrontationen haben ihren Ursprung in der ersten Begegnung von Arendt und Shklar, persönlich wie intellektuell, die ganz unter dem Zeichen der Totalitarismus­theorie stand. Shklar lernte Arendt in den Harvard-Seminaren kennen, die in den Fünfzi­gerjahren von Carl Joachim Friedrich geleitet wurden, einem in der Zwischenkriegszeit in die USA ausgewanderten deutschstämmigen Politikwissenschaftler. Friedrich war von 1951 bis 1955 Shklars Doktorvater in Harvard und, nachdem sie dort zu lehren begonnen hatte, ihr Vorgesetzter am department of government. Im Kontext des ›Totalitarismus‹ als einem von Friedrich favorisierten Erklärungsansatz war, wie vor ihr Franz Neumann und Arnold Brecht, dann im Dezember 1951 auch Hannah Arendt, sofort nach Erscheinen ihrer Origins of Totalitarianism, im Colloquium zu Gast. Beim anschließenden Dinner konnten sich Studenten und Lehrer austauschen. Friedrich und Arendt einte wohl eine gewisse Komplizenschaft gegen links und rechts, und Arendt reiste noch mehrere Male in seine Harvard-Seminare, unter anderem um 1953 an einer Totalitarismus-Konferenz teil­zunehmen, die Friedrich veranstaltete (ebenfalls anwesend: Isaiah Berlin). Es ist fast si­cher, dass Shklar dabei immer zugegen war.

Friedrich und Arendt gingen das gemeinsame Thema ›Totalitarismus‹ verschieden an. Arendt bemühte stets eine philosophische Grundlage (auch wenn sie den Begriff »Philo­sophin« berühmterweise ablehnte19), die sie schließlich, als Explikation der letzten Seiten von Elemente und Ursprünge, in ihrer Vita activa als »Phänomenologie des menschli­chen Handelns« entfaltete. Dagegen war Friedrichs Ansatz, den er mit seinem Schüler Zbigniew Brzeziński in Totalitäre Diktatur (1957) ausarbeitete, analytischer und positi­vistischer in der Theoretisierung des Totalitarismus. Friedrich und Brzeziński stell­ten sechs grundlegende Kategorien auf, die totalitäre Diktaturen idealtypisch aufwiesen – po­litische Ideologie, Monopolpartei, Geheimpolizei, zentralisierte Wirtschaft und Nachricht­en- wie Waffenmonopol – und mit denen sie Stalinismus und Nationalsozialis­mus als zwei Spezies desselben Genus identifizierten. Friedrichs Beitrag verschwand da­her spätestens in den Achtzigerjahren im Zuge des Historikerstreits von den Lehrplänen, während Arendts Totalitarismusbuch, gerade nicht historisch-analytisch, sondern philo­sophisch rezipiert, den Status eines wieder und wieder gelesenen Klassikers besitzt.
Obwohl Shklar also in einer solchen Umgebung sozialisiert wurde, hielt sie bald nur noch wenig von der Kategorie ›Totalitarismus‹. Der positivistische Ansatz erschien ihr, wie sie später schrieb, von der Wirklichkeit des Naziregimes gesäubert und war stattdes­sen, »recht desinfiziert, in den Kontext des kalten Krieges integriert«.20 Dem philosophi­schen Ansatz stand sie ebenso skeptisch gegenüber. 1961 schrieb sie in einer Rezension von Karl Jaspers’ Die Atombombe und die Zukunft der Menschheit, seine »Analyse des Totalitarismus basiert erklärtermaßen auf dem Werk von Frau Arendt. Das heißt, der To­talitarismus wird als statische ›Essenz‹ beschrieben, die keiner Veränderung oder Variati­on unterliegt.«21 Damit griff sie zweifelsohne eine gewisse Tendenz zur Geschlossenheit im Arendt’schen Totalitarismuskonzept an, übersah aber, dass ein auf Bewegungen ge­stütztes Modell gar nicht völlig monolithisch gedacht werden konnte. Eher schien sie wie­der Friedrich/Brzezińskis Modell zu treffen, dessen sechs Merkmale es heuristisch starr machen, während Arendt, deren konkrete Elemente des Totalitarismus – etwa Atomisie­rung, Wirklichkeitsverlust oder Überflüssigmachung von Menschen – mit sehr viel weni­ger greif- und damit fixierbaren Kategorien operiert.
Aber auch daran stieß sich Shklar: Arendt warf sie die zwielichtige Genealogie vor, die sie hinter diesen Kategorien vermutete: Für Shklar war Arendt eine Epigonin des deut­schen Existenzialismus und damit der romantischen Tradition. Und während Friedrich/Brzeziński totalitäre Diktatur lediglich als extreme Form von Autokratie ein­ordneten, lag für Arendt im Totalitarismus ein qualitativer Sprung vor, ein radikaler Bruch in der Tradition des Westens.22 Shklar, die einen solchen Bruch nie anerkannte,23 vermutete darin eine unverzeihliche Neigung zur Metaphysik. Ihr erstes Buch, After Uto­pia, formulierte den Beginn dieses Misstrauens, das ihr Verhältnis zu Arendt und weithin bestimmte.

III.

After Utopia war nicht Shklars Antwort auf die Frage, was ›den Totalitarismus‹ (von dem sie hier noch sprach) möglich gemacht hatte. Vielmehr ging es ihr darum zu zeigen, wie die verfügbaren politischen Ideologien und Theorien gescheitert waren, nach »Jahren der Instabilität, Krieg und Totalitarismus« überhaupt noch Handlungsanweisungen zu geben. Der Titel, »nach den Utopien«, ist irreführend.24 Nicht die Möglichkeit oder Unmöglich­keit von utopischem, sondern von gegenwartsrelevantem politischem Denken überhaupt war ihr Anliegen. Politische Philosophie hatte für Shklar nichts zum Verständnis der Ka­tastrophe beigetragen, sondern sich »in Klischees ergangen, die rein gar nichts mit den sozialen Erfahren zu tun haben, deren Eigenschaften eher gefühlt als ausgedrückt wer­den.«25 Solche Klischees erkannte Shklar vor allem in der kulturkritischen Apokalyptik, die in der Nachkriegszeit den Ton politischer Theorie angab; nichts schien Shklar neu an diesen Lamentos, deren Abstammungslinien sie in ihrem Buch nachging.
After Utopia erschien 1957 als umgearbeitete Fassung ihrer 1955 abgeschlossen Disser­tation, deren ursprünglicher Titel den Inhalt sehr viel präziser wiedergibt: Schicksal und Vergeblichkeit. Zwei Motive in der zeitgenössischen politischen Theorie.26 Unter die Ru­brik Schicksal versammelte sie das christliche politische Denken, während sie Vergeb­lichkeit als Grundtenor dessen angab, was sie den »Romantizismus der Niederlage« nannte (AU 18).27 Christlicher Fatalismus und romantischer Defätismus standen dabei metonymisch als »Ausdruck einer zeitgenössischen Stimmung«, die sich in Gegnerschaft zur Aufklärung und ihrem Fortschrittsoptimismus, Selbstbestimmungsideal und Ver­nunftpostulat verstand. Gemeinsam war ihnen, so Shklar, das »unglückliche Bewusst­sein« zu artikulieren, jenes Gefühl der Entfremdungen in der Moderne als Unvereinbar­keit von Subjekt und Gesellschaft, das Hegel in seiner Phänomenologie beschrieben hatte. (Ebd. 65)28 Während sich der christliche Fatalismus (sie nennt etwa Romano Guardinis Ende der Neuzeit) bis zu dem Gegenaufklärer Joseph de Maistre zurückverfolgen ließ, war aus dem Ästhetizismus der deutschen Romantik und ihrer Trennung von Selbst und Welt, Ge­nie und Durchschnittsmensch, der Romantizismus der Niederlage hervorgegan­gen. Beiträge zum Verständnis der Katastrophe oder zu einer neuen Konzeption politi­scher Theorie seien von beiden nicht zu erwarten.
Was die Romantiker anging, so zählte Shklar José Ortega y Gasset, Aldous Huxley oder Gabriel Marcel unter ihre Vertreter. Der legitimste Erbe der Romantik aber war ihr der Existenzialismus. Neben Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, deren rein situative, ahistorische »Politik der Extremsituation« (ebd. 149) sie als reduktiv ablehnte, nannte sie wieder und wieder Karl Jaspers (»der moderateste unter ihnen«, ebd. 119) und Martin Heidegger (»der größte Romantiker von allen«, ebd. 116). Ihrer »Erzählung von der ent­fremdeten Seele« (ebd. 108) in der Moderne galt Shklars Hauptkritik. Sie alle, schrieb Sh­klar in vollendeter Anwendung der für sie typischen »Kunst der Interpretation als Umfor­mulierung«,29 vereinten Technik- und Wissenschaftsverachtung mit dem Elitismus ro­mantischen Geniekults:

Die äußere Welt vernichtet das einzigartige Individuum. Die Gesellschaft bringt uns um unser Selbst. Das gesamte soziale Universum ist heute totalitär, nicht nur einige politische Bewegungen in bestimmten Staaten. Die Technik und die Massen bestim­men überall die Lebensbedingungen und beide machen das Wesen des Totalitaris­mus aus, sind der Gipfel all der gesellschaftlichen Kräfte, die stets die individuelle Persönlichkeit bedroht haben. (Ebd. 18)

So überspitzt formuliert wird die Diagnose ›Totalitarismus‹ zu metaphysisch aufgeplus­terter, philosophisch hohler und zu Konservatismus neigenden romantischen Kulturkri­tik, die Shklar zufolge nichts erklärt. Die attestierte generelle Krise der Neuzeit lehnte Sh­klar als rein spekulativ und unzureichend begründet ab. Tendenziell bei allen genannten Denkern, aber vor allem bei Heidegger, führe dieser Romantizismus darüber hinaus zu ei­ner völligen Unfähigkeit, eine wahrhaft politische Philosophie zu entwickeln. Romantik sei anti- oder apolitisch. Über Heideggers Konzept des ›Mitseins‹ etwa schrieb Shklar, dass es »nichts mit der tatsächlichen An- oder Abwesenheit anderer zu tun« habe, viel­mehr sei es »potentiell eine Gefahr für uns bei unserer Suche nach dem ›Sein‹. […] Hier befinden wir uns am Wesenskern aller existenzialistischen Ethik. Es ist ganz einfach die Vorstellung, dass das Selbst der einzige und höchste Wert ist. […] In keinem Fall ist ›der andere‹ ein absoluter Zweck an sich.« (Ebd. 136) Die Sorge um das Dasein ist Ästhetizis­mus. Aus einer solchen solipsistischen Ethik lasse sich keine politische Theorie ableiten.

So harsch und ohne Frage übertrieben Shklar hier urteilte, schien sie doch der Härte von Arendts Heidegger-Kritik in wenig nachzustehen, die jene in Was ist Existenz-Philo­sophie? (1946) formulierte. Dort hatte Arendt nicht nur Heideggers Anbiederung an das Naziregime gegeißelt,30 sondern diese »Charakterlosigkeit« ganz ähnlich aus dem Solip­sismus seiner Philosophie erklärt, die politischer Urteilskraft völlig unfähig sei. Es gehe ihm nur um das eigene Selbst und der »wesentlichste Charakter dieses Selbst ist seine ab­solute Selbstischkeit, seine radikale Abtrennung von allen, die seinesgleichen sind.«31 Auch sie sah in dieser Unterschlagung allen Pluralismus eine Parallele zur deutschen Ro­mantik: »Heidegger ist faktisch (hoffentlich) letzter Romantiker«32.

Doch wo Arendt dem schlechten Existenzialismus Heideggers den guten Jaspers’ ge­genüberstellte, der darum politisch sei, weil er seiner Philosophie die Kommunikation zum Kernpunkt gemacht habe, sah Shklar zwischen beiden nur einen graduellen Unter­schied. Auch Jaspers sei ein Romantiker der Niederlage, der lieber eine große metaphysi­sche Enttäuschung formulierte, als konkret werden zu wollen, lieber von der »›metaphy­sischen Schuld‹« sprach, »die wir einfach dadurch auf uns laden, dass wir am Leben sind« (AU 123), als sich den wirklichen Opfern zuzuwenden und ihre Perspektive einzu­nehmen. Was Jaspers betraf, so sah er zwar, anders als Heidegger, das Selbst in Verbin­dung mit anderen Selbsten – aber immer nur im gleichermaßen ästhetizistischen Verhält­nis von »Ausnahme-Existenz« zu »Masse« (ebd. 133).

Bei all dem ging es Shklar nicht allein um die Kritik des politischen Romantizismus. Die Kritik an Arendt und Jaspers ist Teil eines weiterreichenden Projekts: der Neuformulie­rung eines zeitgemäßen, postmetaphysischen Liberalismus. Wie fast in allen ihren Schrif­ten steht dabei der wichtigere Gegner auf der eigenen Seite. Mit ihrer Analyse des Ro­mantizismus der Niederlage zeichnete sie eine negative Heuristik, die dazu diente, dem konservativen Liberalismus ihrer Gegenwart, der eher »eher Burke als Locke verpflichtet« (ebd. 221) sei, einen Liberalismus entgegenzustellen, der diese Tendenzen vermeidet. Liberalismus, schrieb sie später einmal, sei nämlich durchaus mit Romantizis­mus kompatibel.33 Denn »Liberalismus ist eine politische Philosophie, Romantizismus eine Weltanschauung, eine Geisteshaltung, der sich den verschiedensten Formen politi­schen Denkens anzupassen vermag.« (AU 231) Um dem Liberalismus die Romantik aus­zutreiben, versuchte sie, beide so scharf zu kontrastieren wie nur möglich: Ist das »Grundproblem des Liberalismus […] die Schaffung einer aufgeklärten öffentlichen Mei­nung, um die Bürgerrechte Einzelner zu schützen und die spontanen ordnenden Kräfte in der Gesellschaft zu ermutigen«, so »machen Romantiker aus der Selbstdarstellung um ih­rer selbst willen eine Tugend und halten Individualität für notwendig in Opposition zu vorherrschenden Gesellschaftsstandards«; fürchten »Liberale Mehrheiten, weil sie zu mächtig sind um gerecht und zu ignorant um weise zu sein«, so sind »Romantiker von ih­rer Fügsamkeit, ihrer Gleichgültigkeit gegenüber dem Genie und ihrem unausgegorenen Gefühlsleben abgestoßen.« Und sie fasst zusammen:

Liberale sehen nur die Gefahren von Machtmissbrauch. Dass der Staat sich nicht in die Gesellschaft einmischen soll, ist eine Idee von einer ganz anderen Größenord­nung als die, dass es die erste Pflicht einer Person sei, ihre eigene, einzigartige Per­sönlichkeit zu entwickeln. Mehrheitsherrschaft und Minderheitenrechte sind die bei­den zentralen Themen liberalen Denkens; das einzigartige Individuum und seine Feinde, die Massen, brauchen nie in seine Überlegungen einzugehen. Romantiker ha­ben der Gesellschaft nichts als ihre Verachtung zu bieten. Der Liberalismus aber ver­sucht die Beziehung zwischen Einzelnem, Staat und Gesellschaft sowie zwischen letz­teren beiden durch das Gesetz zu regulieren. (Ebd. 231 f.)

In Shklars Analyse lassen sich die Kontraste zwischen Liberalismus und Romantizis­mus – Gleichheit gegen Ausnahmeexistenz, Staatsgewalt gegen Konvention, persönliche Freiheit gegen einzigartige Individualität – auf eine reduzieren: die von Mehrheit als poli­tisch und Masse als ästhetisch beurteilter Größe. Damit fällt etwa das Geniepathos eines John Stu­art Mill aus dem Schema des Liberalismus heraus. nimmt Shklar Arendt in den Blick.

IV.

Gerade die Rede von der »Masse«, war es, die Shklar auch Arendt, zumindest der Ten­denz nach, unter die romantischen Defätisten zählen ließ. Arendts Analyse des »Mob« in Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft kritisierte Shklar heftig und meinte in ihr dieselbe romantische Ablehnung des »Man« wiederzuerkennen, die Heidegger in Sein und Zeit formuliert hat­te. Was dem Romantiker des neunzehnten Jahrhunderts der Phi­lister, sei dem des zwan­zigsten die Masse:

Im romantischen Denken sind der Durchschnittsmensch und der Philister immer mehr oder weniger identisch gewesen. Heute werden die Massen als die neuen Philis­ter erkannt. Daher spricht Hannah Arendt von der totalitären Gesellschaft als »Mas­sen koordinierter Spießer«, die aus allen Ecken der Gesellschaft zusammengekom­men sind.34 (Ebd. 159)
Shklar witterte hier aber nicht nur elitären Snobismus, der ihr stets als eine der größten Gefahren eines liberalen Gemeinwesens erschien.35 Shklar hielt Arendts Verachtung des »Mobs« für einen Auswuchs einer Genealogie, die einerseits auf Gustave Le Bons rassis­tisch fundierte Massenpsychologie zurückging, andererseits aber auch eine politische Ent­täuschung ausdrückte: Arendt, so Shklar, versuche »Marx mithilfe Le Bons zu korrigie­ren« (ebd. 161),36 indem sie die als unhaltbar erwiesene Kategorie der Klasse durch die der Masse ersetze.

Für sie […] hat die Unmöglichkeit, an das Proletariat zu glauben, zu einer Sichtweise geführt, die die Mehrheit der Menschen in ein Leben vernunftloser Wildheit ver­bannt, die nur einige künstliche Einhegungen, wie etwa Klassenschranken, kontrol­lieren können. Mit dem Ende marxistischer Sicherheiten ist die Gesellschaft fremd, irrational und unbeherrschbar geworden, und eine neue Form des ›unglücklichen Bewusstseins‹ ist entstanden, das wieder einmal glaubt, die Welt könne nicht erlöst werden. (Ebd. 162)

Die Überzeugung, aus dem »Gefühl einer kulturellen Katastrophe« (ebd. viii) die Ge­schichte des Westens als Ganze verwerfen zu müssen, fand sie bei »Jaspers’ Jüngerin« nicht minder als bei diesem oder gar Heidegger selbst, und zitierte die letzten Seiten der amerikanischen Erstausgabe von Elemente und Ursprünge des Totalitarismus:

Heute sehen wir sowohl die Geschichte wie die Natur als etwas dem Wesen des Men­schen Fremdes an. Keine von ihnen bietet uns jenes umfassende Ganze, in dem wir uns geistig zuhause fühlen.« Auch wenn wir uns nun unsere eigene Natur und Ge­schichte ohne die Hilfe ewiger Wahrheiten schaffen müssen, sind unsere Erfolge und Niederlagen einer indifferenten Natur und einem toten Gott gleichgültig. Ob wir un­sere Ziele erreichen oder nicht, wir handeln »mit der bitteren Erkenntnis, daß uns nichts versprochen worden ist: kein messianisches Zeitalter, keine klassenlose Ge­sellschaft, kein Paradies nach dem Tode. (Ebd. 110f.)37

Die Folge dieser Enttäuschung sei eine Abwendung von konkreter Politik, hin zu einer existenzialistisch verbrämten Idee von politischen Akteuren als romantischen Ge­nies. Heldentum und Irrationalismus würden zu Kategorien der Politik, die, ganz wie die Verachtung der »Masse«, keinen Sinn für die Perspektive der Opfer besitze. Aber schlim­mer noch als sie zu ignorieren sei es, dass »Opfertum heute zu einer metaphysische Kate­gorie geworden ist« (ebd. 112). Die wirklichen Opfer blieben dabei aber auf der Strecke, weil sie für den Status des heroischen Einzelnen keine Bedeutung besäßen.

Noch am Ende ihrer Karriere, in Ganz normale Laster und Über Ungerechtigkeit, setzt sich Shklar mit dem schmalen Grat auseinander, der das Reden über Opfer darstellt, zwi­schen Heroisierung und Entmündigung, Verdammung und Vereinnahmung.38 Doch schon in After Utopia stellt sie heraus, wie von der Einschätzung des Status von Opfern die Bewertung von Gewalt und Grausamkeit abhängt. Denn die Folge eines metaphysi­schen Opferbegriffes sei es, nicht ›bloße‹ Gewalt abzulehnen, sondern die »›komfortable‹ Gewalt, Gewalt aus der Distanz und vor allem rationale Gewalt« (AU 151).39 Gewalt werde nicht weniger metaphysisch relativiert als Opfertum, wenn man sie, statt sich ihrer Phä­nomenalität aus der Perspektive des Opfers zu stellen,40 zu einem transindividuellen Vor­kommnis als Ausdruck einer Pathologie der Gegenwart mache. Die Rede von der Rationa­lisierung von Gewalt im Totalitarismus hielt Shklar für verfehlt, wenn sie theoretisch der­art hypertrophiert wird, wie sie es bei Arendt erkannte, der »die ›Logizität‹ der totalitären Ideologie als so wichtiger Faktor erscheint, dass sie totalitäre Regierung als ›Logokratie‹ bezeichnen würde. Abstrakte Logik hat noch keinen Romantiker gereizt.« (Ebd.)
Wie weniges zeigt diese Einschätzung von Opfertum und Gewalt die »Differenz im me­taphysischen Hitzegrad«, von dem Axel Honneth spricht.41 So krass Shklars Polemik auch daher kommt, zeigt sie doch einen zentralen Unterschied: Was für Arendt das absolut Neue war, das den Faden hatte reißen lassen, der uns mit der Tradition verbindet,42 war für Shklar ein konkretes, ein politisches und moralpsychologisches Problem. Von der Shoah, der sie selbst entkam, sprach Shklar weder in diesem Buch, noch in einem ande­ren – so, als wollte sie nicht in Versuchung geführt werden, einen Ausnahmezustand zum Maßstab von Politik zu machen. So schrieb sie später, mit einem Sarkasmus, der dem Arendts nicht unähnlich war, es gehören zu den »Bärendiensten« Hitlers, dass seine Per­son jede Diskussion politischer Diskussion heimsuche.43 Arendts Insistieren auf den un­eingeschränkten Geschichtsbruch erschien Shklar als Zeichen eines Willens zur Metaphy­sik, den sie sehr viel radikaler im Sinne eines Postfundamentalismus ablehnte als Arendt.44 Mehr noch, wie Katrina Forrester meint, gehörten für Shklar »Arendts Überle­gungen zu einem vom Totalitarismus besessenen Geist, der nicht bedachte, dass nach dem geschehenen Bösen wieder zurück zu einem normalen Gemeinwesen gefunden wer­den müsse.«45 Arendt erscheint in dieser Lesart nicht nur als jene Totalitarismusinterpre­tin, vor der sie selbst gewarnt hatte, die im Betrachten des größten Übels die kleineren vergisst, sondern am Ende überhaupt die Notwendigkeit von konkreter Politik.
 Am Ende dieses Ritts durch nur ein Kapitel von Shklars After Utopia sollte klar sein, was Benhabib meinte, als sie von einer Lektüre »gegen den Strich« sprach: Shklar liest Arendt als existenzialistische Romantikerin, als elitäre Snobistin, als orakelnde Metaphy­sikerin und als enttäuschte Marxistin, deren Ideal der heroische Einzelne sei, weshalb sie nicht Gewalt oder Grausamkeit als höchstes Übel ansetze, sondern den Verlust von Indi­vidualität in der Moderne. Das ist eine Menge und es ist schwer zu übersehen, wie einsei­tig ihre Angriffe auf Arendt sind: Arendt hatte sich kritisch mit dem Existenzialismus46 wie mit der Romantik47 auseinandergesetzt, verstand sich als darin begriffen, die Meta­physik zu »demontieren«48 und hatte ohne Frage ein komplexeres Verhältnis zu Marx als Shklar es zugibt.49 Vor allem aber, was sie als Arendts heroische Konzeption von Politik begreift, ist ihr ein Dorn im Auge; das Handeln zu feiern, zumal als Ausdruck einer irre­duziblen Individualität, wie Arendt es in der Vita activa konzeptualisiert, geht für Shklar mit der Drohung einher, weniger auf seine Folgen zu achten als auf das bloße Faktum die­ses Handeln selbst. Dass Arendt dagegen die Individualität des Einzelnen deshalb betont, weil sie auf der Pluralität des Miteinander der Vielen im Handeln beruht, scheint Shklar auch in ihrer späteren Lektüre kein Einwand zu sein. Shklars Skepsis, ob Arendt der Gewalt die nötige Berücksichtigung entgegenbrachte, deutet bereits die Differenz in grundlegenden Kategorien an.50 Shklar muss etwas hinter diesen offensichtlichen Gegenevidenzen gesehen haben, das sie an ihrer grundsätzliche Kritik festhalten ließ, die sie in der Folge höchstens verfeinern, aber nicht wesentlich verändern würde. Später, im Zuge der Eichmann-Affäre, wird sich der Vorwurf des Snobismus noch auf ihre Einstellung gegenüber dem Judentum (zumal den nicht-integrierten Ostjuden) ausweiten.51

Doch so sehr Shklar gegen einen Defätismus in der politischen Philosophie der Nach­kriegszeit zu Felde zog, der auf die Erfahrung des ›Totalitarismus‹ mit Ratlosigkeit oder Nostalgie antwortet, gab sie zu, selbst kein positives Gegenmodell anbieten zu können.

Die Autorin teilt den Geist der Zeit insofern, als sie weder willens noch fähig ist, eine neue politische Theorie zu schaffen. Es ist eine Tatsache, dass es nahezu unmöglich ist, fast daran zu glauben, die Kraft der menschlichen Vernunft, die sich in politi­schem Handeln ausdrückt, könne fähig sein, ihre Ziele zu erreichen. […] Dass eine angemessenere Erklärung anzubieten in diesem Moment unmöglich ist, mag die un­angenehme Schlussfolgerung sein, die sich aus dieser Analyse ergibt. (Ebd. ix f.)

Wenn der tiefe Pessimismus, was die Zukunft politischer Theorie betrifft, von Arendt und Shklar offensichtlich geteilt wurde – für beide gibt es »kein messianisches Zeitalter, keine klassenlose Gesellschaft, kein Paradies nach dem Tode« – besteht die große Differenz für sie darin, wie mit dieser Skepsis umzugehen ist. Shklar nimmt eine skeptische und post­fundamentalistische Haltung ein, die dennoch den Glauben an das Projekt der Aufklä­rung, seinen Liberalismus, »seinen Humanitarismus und seinen tiefen Sinn für Gerech­tigkeit« (ebd. 11) nicht völlig aufgegeben hat, auch wenn sie in diesem Zeitpunkt höchs­tens die Möglichkeit sieht, es negativ, seine Abweichungen korrigierend weiter zu verfol­gen. Arendt wendet sich Shklar zufolge dagegen vollkommen von der Neuzeit ab und »dem einzigen Zeitalter [zu], das sie wirklich bewundert: der intellektuellen Epoche, die mit Platon beginnt und mit Augustinus endet.« (AuM 976)

V.

Shklar hatte in After Utopia zwar abgelehnt, eine positive Vision politischer Theorie zu entwerfen, aber anhand der Kritik an Arendt entwickelte sie zumindest die negativen Be­dingungen für eine solche nicht-romantische Theorie: Sie sollte liberal, postfundamenta­listisch und realistisch sein, Wert auf Abwehrrechte und Schutz des Individuums legen, ein demokratisch-prozeduralistisches und kein heroisch-ästhetisches Politikverständnis transportieren und wesentlich um die Perspektive des Opfers zentriert sein. Vor allem aber sollte sie sich, im Sinne eines politischen Realismus,52 der Welt zuwenden, wie sie ist, um Normen politischen Handelns für die Gegenwart zu bilden, die realistisch sind. Auch dieser realistische Imperativ, den ich abschließend betrachten will, erarbeitet Shklar in Auseinandersetzung mit Arendt. Er entgeht den genügend bekannten Kritikansätzen. Denn Arendt, für die der amor mundi die Grundmotivation von Politik war,53 ein man­gelndes Interesse an der Welt vorzuwerfen, ist wieder eine Lektüre gegen den Strich.
Arendt strebt in Shklars Lesart nach einem bewusst unerreichbaren Ideal, dessen Wert nur darin bestehe, die Gegenwart herabzusetzen, anstatt ihr einen gangbaren Weg zu wei­sen. Sie erblicke ein solches Ideal in der Antike, und nicht zuletzt die Vita activa zeugt von tiefem Respekt gegenüber der griechischen und römischen Tradition politischen Den­kens. Dieses Buch sei »die Darstellung jener großen Umkehrung von Werten, die die Welt der Moderne zum Gegenstück der Antike macht. Wollen wir uns selbst zu verstehen hoffen, müssen wir uns im Vergleich zu den Griechen betrachten. Können wir auch nicht länger wie sie denken, können wir es doch auch nicht ohne sie.«54 Shklar erkennt hier die Grundlage eines systematischen Manichäismus, der Arendts gesamte Philosophie bestim­me, so dass eigentlich immer »zwei Arendts am Werk« seien: Die versierte, nuancierte Ideenhistorikerin antiker Philosophie und die nur schwarzweiß malende Kulturkritikerin der Gegenwart. Letztere habe die »Neigung, ausschließlich in absoluten Gegensätzen zu denken, niemals in Abstufungen oder Nuancen.« (AuM 978)

In einer 1963 erschienen Rezension zu Arendts Essaysammlung Between Past and Fu­ture (1961), der erweiterten englischen Fassung von Fragwürdige Traditionsbestände im politischen Denken der Gegenwart, stellt Shklar diese Doppelposition besonders deutlich heraus. Neben dem »scharfsinnigen Interesse an den Philosophen der klassischen Antike« gebe Arendt »einer starken Abneigung gegen die heutige Zeit und alles, was zu ihr beigetragen hat« Ausdruck. »Der Kontrast zwischen Antike und Moderne« halte die Essays zusammen, was »ihnen eine einfache Struktur gibt: Je heller der Glanz der Antike, desto dunkler die Schatten der Moderne« (ebd. 976). Dabei bestehe immer die Gefahr, dass die kenntnisreiche Interpretation der Antike der »Verurteilung der Gegenwart« (ebd. 981) untergeordnet zu werden drohe. Shklar insinuiert hier eine rhetorische Taktik, die begriffsgeschichtlichen Analysen darauf abzustellen, »das grundlegend Neue dieses [modernen] Zustands aufzuzeigen, und im Besonderen die ›Einzigartigkeit‹ seines Inbe­griffs, des Totalitarismus« (ebd.).

Allein diese vermeintliche Popularisierungsstrategie musste Shklar als Kritikerin dieses Inbegriffs skeptisch stimmen. Diese Agenda hatte ihr zufolge aber den Nebeneffekt, dass Arendt weniger heroisch-aristokratische Alternativgenealogien übersehe, die eine egali­tärere, der Gegenwart angemessenere Interpretation böten. Das zeigt Shklar anhand Arendts Essay Was ist Autorität?, der darauf bestehe, dass »wirksame Autorität eine hierarchische Sozialordnung« voraussetze (ebd. 979) – die Dreifaltigkeit aus Religion, Tradition und Autorität, die Arendt in der römischen Republik erkannte.55 Die Gefahr ei­ner solchen Orientierung an Rom, so Shklar, besteht darin, »die Möglichkeiten einer Tra­ditionsorientierung zu ignorieren, die in keiner Weise autoritär sind« und »die Möglich­keit einer nicht­hierarchischen Form der Autorität« zu übersehen, die »für einen Bewun­derer einer Herrschaft der Autorität […] keine gleichgültige Sache sein« könne. (AuM 980f.) Arendts römischer Neigung hält Shklar Aristoteles’ »Idee einer Bürgerschaft, die abwechselnd regiert und regiert wird« entgegen, die so im Wechsel der Mehrheiten den­noch die Autorität der Gründerfigur ehren könnte, in diesem Fall die Solons. (Ebd. 980)
Für Axel Honneth »zeichnet sich in der Summe der rein interpretatorischen Einwände von Shklar untergründig durchaus eine politisch-moralische Alternative ab, die auf die Verteidigung eines demokratischen Egalitarismus gegen einen leicht aristokratisch ge­färbten Republikanismus hinausläuft«.56 Auch scheint Shklar durchgängig die romanti­sche Tendenz in Arendt zu bemängeln, die keinen Sinn für politische Institutionen und Prozeduren hat, sondern vor allem vom Einzelnen als politischem Akteur ausgeht. Das sind aber mehr als bloß philologische, sondern substanzielle Korrekturen, die sich in ei­ner Kritik bündelt, die gegen Arendts Geschichtsverständnis gerichtet ist. Die Konzentra­tion auf eine ehrwürdige Vergangenheit rückte für Shklar die Möglichkeit in weite Ferne, dass »eine vitale Öffentlichkeit und eine zivile Demokratie auch auf dem Boden der mo­dernen Arbeitsgesellschaft errichtbar sind.«57
Diese normative Konsequenz für die politische Theorie im Hinblick auf die Gegenwart erwächst für Shklar direkt aus dem Modus, in dem Arendts sich der Historie bedient. Die­sen Gedanken führte Shklar in einem Essay aus, den sie ursprünglich 1976 auf der Ge­denkfeier zu Arendts erstem Todestag vortrug.58 Er gehört zu einem der wenigen positi­ven Texten zu Arendt, auch wenn er hier freilich als Tugend präsentiert, was Shklar in ih­rer Rezension als Mangel hingestellt hatte. Mit Rückgriff auf Nietzsche zählte sie dort Arendt unter die »Monumentalhistoriker«, die »in ihren besten Momenten« daran erin­nere »dass hervorragende Menschen große Taten vollbrachten und dass, was dereinst machbar war, erneut zumindest möglich ist.« (RP 354) Das Problem eines solchen Vorge­hens bestand für Shklar darin, die Monumentalgeschichte mit der kritischen in Einklang zu bringen. Die kritische hat nach Nietzsche eine die monumentalische Geschichtsschrei­bung einhegende Aufgabe, die »Vergangenheit zu zerbrechen und aufzulösen«. Für Nietz­sche ist diese Destruktion notwendig, »um leben zu können«,59 für Shklar scheint sie eher eine Sache der Glaubwürdigkeit für die behauptete Modellhaftigkeit der Vergangenheit zu sein. Arendts Abwehr gegen die angebliche Wertfreiheit der professionellen Geschichts­schreibung ist bekannt.60 Für Shklar aber ist ohne kritische Geschichtsschreibung die An­rufung der Vergangenheit schlicht Behauptung, die keine Gegenwartsrelevanz besitzt. Da für Arendt aber die Tradition und die ein Gemeinwesen legitimierende Autorität unwie­derbringlich verloren ist, sei nur noch die völlige Neugründung möglich. Shklar nannte es ein gleichzeitig radikales und traditionalistisches Programm, eine neue Wirklichkeit am normativen Ideal der Polis oder der römischen Republik schaffen zu wollen. (RP 356) Doch Shklar schien nicht ganz zu glauben, dass Arendt ihre Revolutionsbegeisterung auch wirklich in die Gegenwart transformiert sehen wollte; über die Ungarische Revolution etwa, die Arendt gewissermaßen mit einer »Teilnehmung dem Wunsche nach« (Kant) verfolgte, geht Shklar hinweg und interpretiert Arendts Revolutionstheorie als erneute Volte gegen die Gegenwart. Auch dieses Programm von Revolution sei monumentalisch, beziehe sich auf die Vergangenheit, sei es doch nur ein einziges Mal umgesetzt worden – in der Amerikanischen Revolution. Und erneut mahnt Shklar die Kontrolle der kritischen Geschichtsschreibung an, die Arendts »exzentrische« Interpretation der Fakten entge­genzuhalten wäre. (RP 357) Arendt erzähle nur die halbe Geschichte, beziehe sich nur auf das Versprechen der Freiheit und lasse seine Umsetzung außer Acht. Für Shklar endet die Revolution nicht mit dem Unabhängigkeitskrieg oder der Staatsgründung, sondern wird erst mit dem Bürgerkrieg zu Ende gefochten, in der die Sklaverei als größte Schande und größte Widerspruch der proklamierten, verfassungsmä­ßigen Freiheit zumindest nominal überwunden ist, wie sie in American Citizenship ausführen wird.61 Die Idealisierung der Amerikanischen Revolution erscheint als Unterschlagung der Ursünde dieser Revolution wieder der kritischen Geschichtsschrei­bung zu entbehren.
Doch Shklar geht nicht einmal so weit, Revolution als permanente Möglichkeit der Neugründung im Sinne Arendts als für gegenwärtige Politik relevant zu betrachten. Wenn für Arendt »Verfassungen, Gesetze und Institutionen, die [Menschen] errichten, […] ge­nau so lange lebensfähig [sind], als sie die einmal erzeugte Macht lebendigen Handelns in ihnen überdauert«,62 ist dies für Shklar bereits ein zu hoher Anspruch. Dies ist ihr weni­ger eine Handlungsanweisung für die Gegenwart als eine Idee »um in dürftigen Zei­ten zu überdauern« (RP 360). Arendts normatives Projekt ist für Shklar vor allem therapeu­tisch; politisch ist es nicht.
Gegen diesen Umgang mit der Historie stellt sich Shklar in ihrem späteren Denken, in denen sie ihre eigene Stimme und Konzeption eines politischen Liberalismus entwickelte, der auf einen kritisch-historisch geschulten defensiven Prozeduralismus setzte, der nicht den Herosakteur, sondern den seine Rechte einfordernden Staatsbürger als politischen Akteur stark macht.63 Diese antiromantische, aber nicht notwendig antirepublikanische Position ist es – weniger als die Orientierung an größten Übeln oder Gütern – die Judith Shklar im Laufe ihre Karriere durch jene Korrekturen an Hannah entwickelt, von denen ich hier, kursorisch und unvollständig, einige vorgetragen habe.

 

*Hannes Bajohr studierte Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin und schließt derzeit eine Promo­tion zu Hans Blumenbergs Sprachtheorie an der Columbia University, New York ab. Er ist Autor von Dimen­sionen der Öffentlichkeit: Politik und Erkenntnis bei Hannah Arendt (Berlin: Lukas 2011) und ist Übersetzer und Herausgeber von Judith Shklars Liberalismus der Furcht, Ganz normale Laster und Liberalismus der Rechte (alle Berlin: Matthes und Seitz 2013, 2014, 2016). Zuletzt erschien „Die Einheit der Welt. Hannah Arendt und Hans Blumenberg über die Anthropologie der Metapher“, in: WestEnd 2/2015.

1 Seyla Benhabib, »Judith Shklars dystopischer Liberalismus«, in: Judith N. Shklar, Der Liberalismus der Furcht. Mit einem Vorwort von Axel Honneth und Essays von Seyla Benhabib, Michael Walzer und Bernard Williams. Herausgegeben, aus dem Amerikanischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Hannes Bajohr. Berlin: Matthes & Seitz 2013, 67–86, hier: 85.

2 Vgl. ebd.; Axel Honneth, »Flucht in die Peripherie«, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 56/6, 2008, 982–986 und ders., »Vorwort«, in: Shklar, Liberalismus der Furcht, 7–25; Seyla Benhabib, »Remembering Dita Alone with the Trees in Harvard Yard«, in: Memorial Tributes to Judith Nisse Shklar, 1928–1992. A Service in Memory of Judith Nisse Shklar. Cambridge, Mass.: Harvard 1992, 27–31; Andreas Hess, The Political Theory of Judith N. Shklar. Exile from Exile. New York: Palgrave Macmillan, 2014 und Hannes Ba­johr, »Judith N. Shklar, 1928–1992. Eine werkbiografische Skizze«, in: Judith N. Shklar, Ganz normale Las­ter. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Hannes Bajohr. Berlin: Matthes & Seitz 2014, 277–319.

3 Vgl. Hannes Bajohr, »Exil im Denken. Andreas Hess’ Einführung in Leben und Werk Judith Shklars«, in: Jahrbuch Politisches Denken 2014, 263–268.

4 Etwa bei Benjamin R. Barber, Rezension von American Citizenship von Judith N. Shklar, in: Political The­ory 21/1, 1993, 146–153, hier: 147; Corey Robin, »Liberalism at Bay, Conservatism at Play. Fear in the Con­temporary Imagination«, in: Social Research 74/4, 2004, 927–962 hier: 931. Ebenso in der Gegenüberstel­lung bei Andreas Hess, Gesellschaftspolitisches Denken in den USA. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer 2013, Kap. 4 und 5; Dana R. Villa, »Totalitarianism, Modernity, and the Tradition«, in: ders., Philosophy, Politics, Terror. Essays on the Thought of Hannah Arendt. Princeton: Princeton University Press 1999, 180–203.

5 Dana Villa, »Totalitarianism, Modernity, and the Tradition«, 200. – Hier und im Folgenden sind alle Über­setzungen englischsprachiger Quellen von mir.

6 Hannah Arendt, Über das Böse. Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik. Aus dem Nachlaß herausgegeben von Jerome Kohn. Übersetzt aus dem Englischen von Ursula Ludz. Mit einem Nachwort von Franziska Augstein. München: Piper 2006, 12.

7 Dana Villa, »Totalitarianism, Modernity, and the Tradition«, 201; ähnlich Katrina Forrester, »Hope and Me­mory in the Thought of Judith Shklar«, in: Modern Intellectual History 8/13, 2011, 591–620, hier: 617.

8 Ebd., 202.

9 Vgl. Hannes Bajohr, Dimensionen der Öffentlichkeit. Politik und Erkenntnis bei Hannah Arendt, Berlin: Lu­kas 2011, 32-35.

10 Hannah Arendt, The Eggs Speak Up, in: dies., Essays in Understanding 1930–1954. Formation, Exile, and Totalitarianism. Ed. by Jerome Kohn, New York: Schocken 1994, 270–284, hier: 271.

11 Ebd., 271–272.

12 Das gleiche ließe sich von Arendts methodischem Hinweis zur Literatur als heuristisch wichtigster Quelle zum Verständnis des Bösen sagen: »Wir könnten ein bißchen besser dran sein, wenn wir uns erlaubten, die Literatur heranzuziehen, also Shakespeare, Melville oder Dostojewksi, bei denen wir die großen Schurken fin­den. Aus sie mögen nicht in der Lage sein, uns Genaues über das Wesen des Bösen zu erzählen, aber wenigs­tens weichen sie ihm nicht aus.« Ebd., 44; Parallelstellen wären etwa Shklar, Ganz normale Laster, 7 und 251–255.

13 Hannah Arendt, Über das Böse, 42.

14 Judith N. Shklar, Ganz normale Laster, 55, 118.

15 Vor allem dann nicht, wenn man Shklars Spätwerk heranzieht, vgl. Benhabib, »Shklars dystopischer Libera­lismus«.

16 Judith N. Shklar, »Antike und Moderne«, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 56/6, 2008, 976–981 (Erstveröffentlichung ohne Titel in History and Theory 2/3, 1963, 286–292); dies., »Hannah Arendt’s Tri­umph«, in: New Republic 26/173, 1975, 8–10; dies., »Rethinking the Past«, in: dies., Political Thought and Political Thinkers. Hg. v. Stanley Hoffmann. Chicago: University of Chicago Press 1998, 353–361 (Erstveröf­fentlichung in Social Research 44/1 1977, 80–90); dies., »Hannah Arendt as Pariah«, in: Political Thought and Political Thinkers, 362–375 (Erstveröffentlichung in Partisan Review 50/1 1983, 64–77); dies., Rezensi­on von Lectures on Kant’s Political Philosophy von Hannah Arendt, in: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain 5/1, 1984, 42–44. – Eine Edition und deutsche Übersetzung dieser Texte unter dem Titel Über Han­nah Arendt ist in Planung.

17 Vgl. etwa Samuel Moyn, »Judith Shklar über die Philosophie des Völkerstrafrechts«, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 62/4, 2014, 683–707; Kamila Stullerova, »Rethinking Human Rights,« in: International Po­litics 50/5, 2013, 686–705; Tiphaine Dickson, »Shklar’s Legalism and the Liberal Paradox«, in: Constellati­ons 22/2, 2015, 188–198. – Shklar machte ihr Legalism, trotz des zeitgleichen Erscheinungsdatums, selbst noch nachträglich zu einer Arendt-Korrektur, vgl. Shklar, »Hannah Arendt as Pariah«, 372.

18 Diese Korrektur hat Andreas Hess am besten untersucht: Andreas Hess, The Political Theory of Judith N. Shklar, 135–145 und ders., »›The Social‹ and ›The Political‹. A Comparison of the Writings of Judith N. Sh­klar and Hannah Arendt on America«, in: Atlantic Studies 2/2, 2005, 219–233.

19 Hannah Arendt, »Fernsehgespräch mit Günter Gaus«, in: dies., Ich will verstehen. Selbstauskünfte zu Leben und Werk. Mit einer vollständigen Bibliographie. Herausgegeben von Ursula Ludz, München: Piper 32007, 9–25, hier 46.

20 Judith N. Shklar, »A Life of Learning«, in: Bernard Yack (Hrsg.), Liberalism without Illusions. Essays on Li­beral Theory and the Political Vision of Judith N. Shklar. Chicago: University of Chicago Press 1996, 263–280, hier: 267.

21 Judith N. Shklar, Rezension von The Future of Mankind von Karl Jaspers, in: Political Science Quarterly 76/3, 1961, 437–439.

22 Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge, 944.

23 Vgl. Burkhardt Liebsch/Hannes Bajohr, »Geschichte, Negativismus und Skepsis als Herausforderungen poli­tischer Theorie: Judith N. Shklar«, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 62/4, 2014, 633–659, hier:

24 Später schrieb sie, er sei von ihrem Verlag gewählt worden, vgl. Shklar, »A Life of Learning«, 274.

25 Judith N. Shklar, »The Political Theory of Utopia. From Melancholy to Nostalgia«, in: Political Thought and Political Thinkers, 161–174, hier: 172.

26 Dies., Fate and Futility. Two Themes in Contemporary Political Theory, Dissertation. Radcliffe College 1955.

27 Im Folgen verwende ich Siglen für die zentralen hier behandelten Texte Shklars: Judith N. Shklar, After Uto­pia. The Decline of Political Faith. Princeton: Princeton University Press 1957 (=AU); dies., »Antike und Mod­erne« (=AuM); dies., »Rethinking the Past« (=RP).

28 Siehe auch Judith N. Shklar, Freedom and Independence. A Study of the Political Ideas of Hegel’s ›Pheno­menology of Mind‹. Cambridge: Cambridge University Press 1976.

29 George Kateb, »Foreword,« in: Judith Shklar, Political Thought and Political Thinkers, vii–xix, hier xiv.

30 Von diesem Vorwurf nimmt Shklar Heidegger interessanterweise aus: »Der ganze romantische Geist von Heideggers Philosophie ist apolitisch und damit weit entfernt vom Leben eines totalitären Staates oder einer solchen Partei.« AU 148.

31 Hannah Arendt, Was ist Existenz-Philosophie? Frankfurt am Main: Hain 1990, 37.

32 Ebd., 28.

33 Judith N. Shklar, »Rights in the Liberal Tradition«, in: The Bill of Rights and the Liberal Tradition. Ed. by Timothy Fuller. Colorado Springs: Colorado College 1992, 26–39, hier: 28.

34 Shklar zitiert hier die später veränderte Erstausgabe von Hannah Arendt, Origins of Totalitarianism. New York: Harcourt Brace 1951, 330–331. Dieser Passus fehlt in der deutschen Übersetzung.

35 Vgl. Judith N. Shklar, Ganz normale Laster, Kap. 3. – Peter Baehr, der zuletzt Arendts Konzept der Massen untersucht hat, stimmt Shklar im Wesentlichen bei, wenn er über Arendt schreibt:»Ihre Theorie der Massen war poetisch und reich an menschlichem Pathos. Sie war auch tentdenziös, anmaßend und historisch falsch.« Peter Baehr, »The ›Masses‹ in Hannah Arendt's Theory of Totalitarianism«, in: The Good Society, 16/2, 2007, 12-18.

36 »Le Bons irrationale Massen sind die Nachfolger der Klassen. Totalitäre Regimes institutionalisieren, erhal­ten und spiegeln das Massenleben wieder, auf dem ihre Macht basiert. Der Staat ist immer Ausdruck von Klasse, Masse oder Existenz. Das ist auch im Wesentlichen Hannah Arendts Ansicht, außer, dass sie den Na­tionalstaat für ebenso wichtig dafür hält, die Gesellschaft abzuhalten, sich in eine amorphe Masse zu verwan­deln.« AU 161.

37 Shklar zitiert aus den »Concluding Remarks« der Erstausgabe, die in der deutschen Übersetzung fehlen; sie finden sich in: Hannah Arendt, »AbschließendeBemerkungen«, in: dies., Über den Totalitarismus. Texte Hannah Arendts aus den Jahren 1951 und 1953. Aus dem Englischen übertragen von Ursula Ludz. Kommen­tar von Ingeborg Nordmann. Dresden: Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung 1998, S. 25.

38 Judith N. Shklar, Über Ungerechtigkeit. Erkundungen zu einem moralischen Gefühl. Aus dem Amerikani­schen von Christiane Goldmann. Berlin: Rotbuch 1992; Shklar, Ganz normale Laster, 23–32.

39 Diese Argumentationsfigur ist immer noch verbreitet, vgl. Slavoj Žižek, Gewalt. Sechs abseitige Reflexionen. Aus dem Englischen von Andreas Leopold Hofbauer. Hamburg: Laika 2011.

40 Vgl. Burkhardt Liebsch/ Hannes Bajohr, »Geschichte, Negativität und Skepsis«.

41 Axel Honneth, »Die Historizität von Furcht und Verletzung. Sozialdemokratische Züge im Denken von Judith Shklar«, in: ders., Vivisektionen eines Zeitalters. Porträts zur Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts. Berlin: Suhrkamp 2014, 248–262, hier: 252.

42 Hannah Arendt, »Tradition und die Neuzeit«, in: dies., Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken I. Herausgegeben von Ursula Ludz, München: Piper 1994, 23–53, hier: 35.

43 Judith N. Shklar, »Obligation, Loyalty, Exile«, in Political Thought and Political Thinkers, 39.

44 Vgl. Hannes Bajohr, »›Am Leben zu sein heißt Furcht zu haben‹. Judith Shklars negative Anthropologie des Liberalismus«, in: Shklar, Liberalismus der Furcht, 131–168, hier: 144–148. Für den Begriff des Postfunda­mentalismus, vgl. Oliver Marchard, Das unmögliche Objekt. Eine postfundamentalistische Theorie der Ge­sellschaft. Berlin: Suhrkamp 2013, 15–66.

45 Katrina Forrester, »Hope and Memory«, 617.

46 Hannah Arendt, Concern with Politics in Recent European Philosophical Thought, in: dies., Essays in Under­standing, S. 428–447, dies., »Was ist Existenz-Philosophie?«.

47 Vor allem in Hannah Arendt, Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik, München: Piper 1987, aber auch in kleineren Arbeiten, die in

48 »Ich bin eindeutig denen beigetreten, die jetzt schon einige Zeit versuchen, die Metaphysik und die Philoso­phie mit allen ihren Kategorien, wie wir sie seit ihren Anfängen in Griechenland bis auf den heutigen Tag kenne, zu demontieren.« Hannah Arendt, Vom Leben des Geistes. Das Denken, München: Piper 1979, S. 207. Was es aber heißt, dass Arendt »gegen das metaphysische Verständnis des Politischen« denkt, wie Ernst Voll­rath schrieb (»Politik und Metaphysik. Zum politischen Denken Hannah Arendts«, in: Zeitschrift für Politik, 18/3, 1971, S. 205–232, hier S. 206), macht die Gruppe derer klar, denen sie »beigetreten« ist: Überwindung der Metaphysik ist das Projekt Jaspers’ und Heideggers – Denker, die für Shklar eher eine neue Metaphysik aufgebaut hatten als ihr die Grundlage zu entziehen. Insofern ist Arendt nicht postmetaphysisch in der Weise, die für Shklar akzeptabel wäre.

49 Vgl. Hannah Arendt, Vita activa oder vom tätigen Leben, München: Piper 32005, S. 98

50 Dass Nietzsche bei der genaueren Formulierung dieser Kategorien eine Rolle spielen muss, wird daran deut­lich, wie unterschiedlich Shklar und Arendt zu einer Aussage stehen wie dieser: »Was eigentlich gegen das Leiden empört, ist nicht das Leiden an sich, sondern das Sinnlose des Leidens«. Friedrich Nietzsche, Zur Ge­nealogie der Moral. Kritische Gesamtausgabe, herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Band VI.2 Berlin: de Gruyter 1972, S. 320.

51 Judith N. Shklar, »Hannah Arendt as Pariah«. Vgl. dazu: Leon Botstein, »The Jew as Pariah: Hannah Arendt’s Political Philosophy«, in: Dialectical Anthropology 8/1-2, 1983, 47–73 hier: 48–49.

52 Vgl. Andrew Sabl, »History and Reality. Idealist pathologies and ›Harvard School‹ Remedies«, in: Jonathan Floyd und Marc Stears (Hrsg.), Political Philosophy versus History. Contextualism in Real Politics and Con­temporary Political Thought. Cambridge: Cambridge University Press 2011, 151–176.

53 Hannah Arendt, Brief an Karl Jaspers vom 6. August 1955, in: Hannah Arendt/Karl Jaspers, Briefwechsel 1926–1969. München: Piper 1985, 301.

54 Judith Shklar, »Hannah Arendt’s Triumph«, 9.

55 Hannah Arendt, »Was ist Autorität?«, in: dies., Zwischen Vergangenheit und Zukunft, 159–200, hier: 160.

56 Axel Honneth, »Flucht in die Peripherie«, 985.

57 Ebd.

58 Arendts enger Freund Hans Jonas hatte sie um einen Beitrag gebeten, und außer ihnen waren nur Sheldon Wolin und Hans Morgenthau unter den Vortragenden der Gedenkfeier, die an der New School of Social Rese­arch stattfand. Die Reden erschienen in Social Research 44/1, 1977. Es ist erstaunlich, dass Jonas ausgerechn­et Shklar ansprach, die aus ihrer Ambivalenz Arendt gegenüber keinen Hehl machte, allerdings könnte es sein, dass ihn Shklars respektvoller in der New Republic veröffentlichter Nachruf zu dieser Wahl bewogen hatte, vgl. Shklar, »Hannah Arendt’s Triumph«.

59 Friedrich Nietzsche, Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben. Kritische Gesamtausgabe, Band III.1. Berlin: de Gruyter 1972, 265.

60 Vgl. ihre Replik auf Eric Voeglins Kritik an Elemente und Ursprünge, wo sie ihre Skepsis am sina ire et stu­dio begründet, weil solche Historiografie immer in Richtung Erhaltung tendiere, wobei Historiker im Falle des Totalitarismus »die Geschichte eines Gegenstandes schreiben mußten, den sie nicht konservieren woll­ten; sie mußten in zerstörerischer Weise schreiben, und das Geschichte-Schreiben für Zwecke der Destrukti­on ist in gewissem Sinne ein Widerspruch in sich.« Hannah Arendt, Eine Antwort, in: dies., Über den Totali­tarismus, 42–51, hier: 43. Umgekehrt hat Arendts Tendenz zur Überhöhung des Gegebenen hat bei Histori­kern vom Fach zu mitunter gereizten Reaktionen geführt, für die metonymisch Eric Hobsbawms Ausruf ste­hen mag, es gebe »praktisch keinen Punkt, an dem Hannah Arendts Darstellung [...] die wirklichen histori­schen Phänomene berührt, die sie zu beschreiben vorgibt.« Eric J. Hobsbawm, »Hannah Arendt über die Re­volution«, in: Adelbert Reif (Hg.), Hannah Arendt. Materialien zu ihrem Werk. Wien: Europa-Verlag 1979, 263–271, hier: 270.

61 Judith N. Shklar, American Citizenship. The Quest for Inclusion. Cambridge: Harvard University Press 1991.

62 Hannah Arendt, Über die Revolution. München: Piper 1986, 227.

63 Vgl. Judith N. Shklar, Der Liberalismus der Rechte. Herausgegeben von Hannes Bajohr. Berlin: Matthes und Seitz, 2016; Bajohr, »Am Leben zu sein heißt Furcht zu haben«.