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Ausgabe1, Band 5 – November 2009

Hannah Arendt und die Frankfurter Schule –

eine Tagung am Fritz-Bauer-Institut

Silvia Richter

Hochschule für Jüdische Studien, Heidelberg

(silvia.richter@hfjs.uni-heidelberg.de)

Zum Abschluss der Ausstellung „Die Frankfurter Schule und Frankfurt – eine Rückkehr nach Deutschland“ am Jüdischen Museum Frankfurt beschäftigte sich die Tagung „Hannah Arendt und die Frankfurter Schule“ am 11.1.2010 in Frankfurt unter der Leitung der scheidenden Gastprofessorin des Fritz-Bauer-Instituts Liliane Weissberg (University of Pennsylvania), in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum Frankfurt, mit dem Verhältnis der in New York verbliebenen Vertreterin einer neuen politischen Theorie zu der Frankfurter Schule und deren Protagonisten. Dass Arendts Stellung zur Frankfurter Schule kontrovers diskutiert wird, wurde bereits im Vorfeld der Tagung deutlich an der Reaktion einiger angefragter Teilnehmer: Während Arendts Nachlassverwalter Jerome Kohn eine Zusammenführung für widersinnig hielt, da es doch evident sei, dass sie mit diesen Leuten – der von ihr betitelten „Schweinebande“ (Arendt an Heinrich Blücher am 2.8.1941) – nichts zu tun haben wollte, so hielt im Gegenzug Jay Bernstein (New York) die Fragestellung für obsolet und verwies auf die bereits vollzogene Situierung Arendts als Politologin der Frankfurter Schule.

Die problematische Beziehung Hannah Arendts zur Frankfurter Schule ist verwoben in komplexe biographische und werkgeschichtliche Zusammenhänge, die sich an der Frage entzünden, wie und weshalb es zu dieser kam? Es war das Verdienst der Tagung, erhel­lende Schlaglichter in dieses schwierige Verhältnis zu werfen. Im Mittelpunkt standen da­bei die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der politischen Theorien und Begriffe, ihr je­weiliges Verständnis des Judentums sowie die zentrale Rolle von Leben und Werk Walter Benjamins. Vor allem an letzterem schieden sich die Geister, was in Burkhardt Lindners (Frankfurt a.M.) Vortrag über Benjamins postume Rückkehr nach Deutschland ersicht­lich wurde aus Arendts massiver Kritik am Umgang Adornos mit dem Nachlass des ge­meinsamen Freundes. Lindner wies darauf hin, dass der damalige Streit um Benjamin im Kontext von 1968 nicht zu einer Reaktualisierung taugt, d.h. der Marxismus für eine Dis­kussion des Theorie-Verhältnisses von Arendt und der Frankfurter Schule keine Gret­chenfrage mehr ist. In Arendts Benjamin-Rezeption, der Lindner eine „elegant verborge­ne Scheu vor einer intensiven Auseinandersetzung mit Benjamins Schriften“ nachwies, bleibt indes ein Rest: Benjamins Messianismus, vor dessen Hintergrund die theoretische Konstellation Arendt-Adorno-Benjamin neu zu erörtern bleibt, wobei gerade jenem Text, der gewissermaßen die ganze Auseinandersetzung ins Rollen brachte, Benjamins Thesen „Über den Begriff der Geschichte“, eine Schlüsselstellung zukommt.  

Die unterschiedliche Marx-Rezeption Benjamins und Arendts wurde von Annika Thiem (Villanova) beleuchtet, indem sie aufzeigte, dass Arendts Lektüre – im Gegensatz zu Benjamins – der Frankfurter Schule deutlich entgegengesetzt ist. Arendts Kritik an Marx aufnehmend, schlug sie vor, mit Marx Arendt gegen Arendt zu lesen, wobei sie unterstrich, dass ökonomische und materielle Fragen der Gesellschaftsordnung bei Arendt letztlich ausgeblendet blieben.  

Den zentralen Stellenwert des Machtbegriffs in Arendts politischer Theorie erarbeitete Hauke Brunkhorst (Flensburg) eindrucksvoll anhand dessen vielschichtiger Genese. Die einzige Macht, an der der Totalitarismus für Arendt scheitern muss, ist die, die dem gemeinsamen Handeln der multitudo entspringt. In der gewaltlosen öffentlichen Versammlung und im bloßen miteinander reden sieht Arendt, so Brunkhorst, ein „ungeheures Machtpotential“, das der imperialen Macht des autoritären Staates vergleichbar ist und diese herausfordern kann, wobei er gleichzeitig betonte, dass keine Macht ohne einen Bezug auf Gewalt möglich ist. Um Arendts Ideal einer kommunikativen Macht umzusetzen, ist vielmehr eine permanente legale Revolution vonnöten, konstituiert durch eine herrschaftsbegründende Verfassung.

Eva-Maria Ziege (Seattle) wandte sich in ihrem Beitrag den wegweisenden Forschungen Arendts und Adornos im Kontext der Anfänge der Antisemitismusforschung zu. Für beide Denker war der deutsche Völkermord an den europäischen Juden zentral für ihre Reflexionen über die Gesellschaft. Diese entstanden in intensiver Kooperation mit amerikanisch-jüdischen Organisationen als Antwort auf die Eskalation des Antisemitismus in Europa und der dadurch erzwungene Emigration jüdischer Intellektueller in die USA. Mit ihren Arbeiten, Adornos Studien zum autoritären Charakter sowie Arendts Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, reagierten darüber hinaus beide in verschiedener Weise schon früh auf die politischen Konstellationen des Kalten Krieges.

Figuren des Widerstands in den politischen Theorien Arendts und Adornos untersuchte Ingeborg Nordmann (Frankfurt a.M.), indem sie der von Arendt aufgeworfenen Frage „wie man das Schwimmen im Strom überhaupt vermeiden kann“ nachging. Das einzige Gegenprinzip, um sich dem totalitären Zwang zu widersetzen, sah Arendt Nordmann zufolge in der menschlichen Spontaneität, der Freiheit des Anfangen-Könnens, die eine Kontinuität begründet, die nicht unterbrochen werden kann – auch nicht durch den Traditionsbruch. Während Adorno die Gestalten des Widerstands als ein Innehalten oder Zögern begreift, ein Sein-lassen, das sich dem Aktivismus des Weiter-so verweigert, ist Widerstand für Arendt gerade kein Treiben im Strom, sondern ein gegen den Strom schwimmen: Der Sinn von Politik ist Freiheit und ihre Essenz die Pluralität der Menschen.

Monika Boll, Kuratorin der Ausstellung über die Frankfurter Schule am Jüdischen Museum Frankfurt, verglich in ihrem abschließenden Beitrag Arendts und Horkheimers Stellung zum Judentum. Arendt kritisierte dessen marxistischen Humanismus als politisch naiv und betrachtete die Idee der Assimilation von Anfang an skeptisch. Mit ihrer Studie zu Rahel Varnhagen, deren selbst gewähltes Außenseitertum zwischen jüdischer Orthodoxie und Assimilation Arendt als Vorbild für ein politisches Selbstbewusstsein der Juden in der Moderne sah, appellierte sie an die Juden, Subjekte der eigenen Geschichte zu werden. Für Horkheimer hatte die Suche nach einer spezifisch säkularen jüdischen Identität niemals jenen Stellenwert, den sie für Arendt hatte. Nachdem der Marxismus für ihn keine Antwort mehr darstellte, kehrte er nach dem Krieg zur traditionellen Haltung seines Elternhauses zurück, was sich in einem verstärkten Engagement für jüdisches Leben niederschlug.

Sehr zu bedauern war die krankheitsbedingte Absenz von Detlef Claussen (Hannover). Zu wünschen bleibt, dass die Diskussion einen fruchtbaren Nachhall findet in der Publikation, die für den Herbst 2010 im Wallstein Verlag vorgesehen ist und die noch weitere Stimmen aus Frankreich, Israel und den USA versammeln wird.