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Ausgabe 1, Band 3 – Mai 2007

Macht und Verfassung im Werk Hannah Arendts

Hauke Brunkhorst

 

Hannah Arendts politische Theorie ist eine Theorie der Macht: „Alle politischen Institutionen sind Manifestationen und Materialisationen der Macht; sie erstarren und verfallen, sobald die lebendige Macht des Volkes nicht mehr hinter ihnen steht und sie stützt.“1 Arendt ist davon überzeugt, dass die intrinsisch bindende Kraft, die öffentlicher Macht eigentümlich ist, allein aus dem „consent of the governed“ erklärt werden kann.2 Dieser ebenso altehrwürdigen wie vieldeutigen Formel gibt Arendt eine sehr spezifische und unverwechselbare Bedeutung. Der consent of the governed verdanke sich ausschließlich einer Macht, die nur in ihrem öffentlichen Gebrauch bestehen und der eine revolutionäre Kraft zur Neubegründung des politischen Gemeinwesens innewohnen würde. Der performative Vollzug öffentlicher Macht wird von Arendt nicht nur als Ausübung der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes, sondern überdies als egalitärer und sozial inklusiver Prozess bestimmt. Er ist deshalb, auch wenn Arendt dieses Wort nicht gemocht hat, genuin demokratisch. Insofern entspricht er exakt dem Begriff kommunikative Macht, den Habermas in den 1970er Jahren im Anschluss an Arendt eingeführt und später, in seiner Rechtsphilosophie von 1992, verfassungstheoretisch weiterentwickelt hat.3

So wie Arendt den Begriff zunächst einführt, ist politische oder kommunikative Macht eine ebenso negative wie flüchtige Erscheinung. Sie ist negativ, weil Macht nur erscheint, um Herrschafts- und Gewaltverhältnisse, die nicht mehr durch „die lebendige Macht des Volkes“ gedeckt sind, zu vernichten, und sie ist flüchtig, weil sie erst im öffentlichen Handeln einer Gruppe von Bürgern entsteht und in dem Augenblick vergeht, in dem die Versammlung sich wieder auflöst. Arendt selbst hat jedoch, ohne sich je Rechenschaft darüber abzulegen, im Übergang von Vita Activa zu Über die Revolution die handlungstheoretische Einseitigkeit und mit ihr den Dualismus von Macht und Gewalt überwunden und den (negativ) handlungstheoretischen um einen strukturellen Begriff (positiv) gründender Macht, die sich in den Institutionen einer revolutionären Verfassung verkörpert, ergänzt. Damit nimmt sie den Faden einer Theorie struktureller Macht wieder auf, den sie bereits in ihrer großen Totalitarismusstudie geknüpft hatte und entwickelt am Beispiel der Revolutionsverfassung eine Alternative sowohl zur strukturellen Gewalt totalitärer Macht wie zur negatorischen Flüchtigkeit kommunikativer Handlungsmacht. Der Zugang zur Komplexität ihres Machtbegriffs ist jedoch bis heute durch die Fixierung der kritischen ebenso wie der apologetischen Arendt-Rezeption auf den Dualismus von Macht und Gewalt blockiert worden.

I. Macht

Die Komplexität von Arendts Theorie der Macht erschließt sich leicht, wenn man – mit David Strecker4 – die wichtigsten Standardtheorien der Macht in zwei Hinsichten differenziert. Theorien der Macht sind erstens entweder Repressions- oder Konstitutionstheorien, und sie sind zweitens entweder System- oder Handlungstheorien. Jeder Box der daraus folgenden Kreuztabelle (1) lassen sich paradigmatische Theorien der Macht zuordnen. Die Theorien müssen zwar unterschieden werden, schließen ihre Kombination zu einer umfassenden Theorie Macht jedoch nicht aus (auch wenn sie oft selbst solche Ausschließlichkeitsansprüche erheben).

 

Theorie

Macht

Handlung

System

Repressiv

(1) Subjektive Verfügungsmacht

(3) Strukturelle Gewalt/ Ideologie

Konstitutiv

(2) Kommunikative Handlungsmacht

(4) Produktive Diskursmacht/ objektiver Geist

Tabelle 1: Dimensionen gesellschaftlicher Macht (nach Strecker)

Ich will das kurz erläutern:

Aktororientierte Repressionstheorien. Das ist der klassische Fall, den Weber bei seiner berühmten Definition der Macht als Chance, andern seinen Willen aufnötigen zu können, im Auge hatte. Macht ist die Fähigkeit (potentia) einer Person oder einer Gruppe von Personen, andere Personen oder Gruppen von Personen bindenden Entscheidungen zu unterwerfen. Macht ist dieser Theorie zufolge an die Intention eines handelnden Akteurs gebunden, sich vergegenständlichte soziale Prozesse subjektiv verfügbar zu machen.

Aktororientierte Konstitutionstheorien. Konstitutive Macht entsteht in öffentlichen Kommunikationen, die gemeinsames Handeln im Widerstreit ermöglichen. Die besten Beispiele sind Arendts und Habermas Theorien öffentlicher oder kommunikativer Macht. Kommunikative Macht entsteht im spontanen, niemandem subjektiv verfügbaren Handlungsvollzug zwischen verschiedenen Akteuren, und sie ermöglicht dadurch ihre Selbsterzeugung und Selbststeigerung. Sie ist nicht einfach, wie Arendt gelegentlich mit Burke sagt, acting in concert, sondern, wie alle ihre Beispiele zeigen, acting in concert and conflict. Sie erfordert kommunikative Abweichung, Negation, Konfrontation, Widerspruch. Sie ist eine „Macht des Negativen“ (Hegel).

Das klassische Paradigma einer Struktur- oder Systemtheorien repressiver Macht ist der Ideologiebegriff von Marx ebenso wie Max Webers Begriff bürokratischer Herrschaft. Ideologie ist ein falsches Selbstverständnis, das die Stabilisierung asymmetrischer Herrschaft dadurch ermöglicht, dass es sie verschleiert. Marx nennt die Ideologie auch notwendig falsches Bewusstsein, Habermas spricht von systematisch verzerrter Kommunikation. Gemeint ist damit ein kommunikatives Einverständnis, das den Akteuren durch überlegene, in den Institutionen und sozialen Strukturen unauffällig verkörperte Gewalt aufgenötigt wird. Sie fügen sich auch ohne drohende Sanktion und aus eigenen Stücken Verhältnissen empörenden Unrechts, die als ungerecht und unabänderlich erfahren oder gar – aufgrund ihrer Sozialisation, geschichtlichen Lage etc. – für legitim, ertragenswert, gottgegeben halten. Häufig wird auch der Begriff der strukturellen Gewalt (Offe, Galtung) verwendet, um zu beschreiben, dass Herrschaft sich dadurch stabilisiert, dass die Gewalt, die sie den ihr Unterworfenen antut, dauerhaft latent bleibt.

Theorien strukturell konstitutiver Macht lassen sich bis zu Spinozas Machtbegriff zurückverfolgen. Die individuelle Eigenmacht des menschlichen Subjekts wächst nur zusammen mit der Macht des staatlichen Gemeinwesens.5 In ähnlicher Weise reziproker Machtsteigerung bestimmt Hegel das Verhältnis des subjektiven Geistes der Individuen zum objektiven Geist der grundlegenden Verfassungsinstitutionen. Sozialwissenschaftlich aktuellere, derzeit viel diskutierte Beispiele sind die demokratische Machttheorie John Deweys, Gramscis Hegemonie-/ Gegenhegmonietheorie,6 Foucaults Theorie der Diskursmacht, die nicht Akteuren, sondern der performativen Produktion/ Reproduktion diskursiver Muster zugeschrieben wird. Auch die Medientheorien von Parsons und Luhmann gehören zur Familie produktiver Macht.7 Die in communities, Institutionen oder Diskursen verkörperte Macht politischen Handelns hat nicht die Funktion, (individuelle oder kollektive) Handlungsmacht zu unterdrücken, sondern zu erzeugen, zu produzieren, hervorzubringen.
Der Übergang von Handlungsmacht, die immer nur im Vollzug besteht, zur strukturbildenden Verdichtung solcher Handlungsvollzüge verdankt sich einer spezifischen Reflexionsleistung: der Erzeugung von Macht durch Macht. Die systematische Unterscheidung zwischen konstitutiven und repressiven Machtbegriffen ist für alle normativ machtkritischen Theorien grundlegend, während Empiristen (und orthodoxe Marxisten) Macht gewöhnlich auf (intentionale oder strukturelle) Repression reduzieren. Grundsätzlich ambivalent, und theoretisch komplexer sind konstitutive Strukturtheorien, die aber wie Luhmann, Foucault oder Gramsci den Unterschied zwischen repressiven und konstitutiven Leistungen der Macht systematisch verwischen. Sie lehnen es ab, zwischen der Stabilisierung und Steigerung kommunikativer Macht (Tabelle 1, Zelle 4) einerseits und der Stabilisierung und Steigerung von repressiver Handlungsmacht (Tabelle 1, Zelle 3) andererseits zu unterscheiden. Sofern sie diese Differenz durch begriffliche Vorentscheidungen invisibilisieren, können sie ihrerseits als Ideologie beobachtet und kritisiert werden.8

Hannah Arendt, deren Machttheorie bislang immer nur handlungstheoretisch, als Unterscheidung von Macht und Gewalt bzw. konstitutiver (Tabelle 1, Zelle 2) und repressiver Handlungsmacht (Tabelle 1, Zelle 1) verstanden und rezipiert wurde, hat einen mindestens ebenso wichtigen Beitrag zur Unterscheidung von struktureller Repressionsmacht (Tabelle 1, Zelle 3) und konstitutiven Machtstrukturen, die kommunikative Machterzeugung dauerhaft ermöglichen (Tabelle 1, Zelle 4), geleistet.

Geht man auf die Streckersche Kreuztabellierung (Tabelle 1) zurück, so zeigt sich nicht nur, dass Arendts Theorie politischer Macht sehr viel komplexer ist als gemeinhin angenommen, sondern auch, dass sich jedes ihrer wichtigsten Bücher zum Thema Macht jeweils einer der Boxen zwanglos zuordnen lässt:

 

Theorie

Macht

Handlung

System

Repressiv

(1) Gewalt (On Violence)

(3) Imperiale Macht (Origins of Totalitarianism)

Constitutive

(2) Acting in concert and conflict (Human Condition)

(4) Gründende Macht (On Revolution)

Tabelle 2: Arendts Theorie politischer Macht.

Ich werde mich im Folgenden an die entstehungsgeschichtliche Reihenfolge halten und mit der imperialen Macht (II, III) beginnen. In der Totalitarismusstudie unterscheidet Arendt noch nicht zwischen Macht und Gewalt. Diese Unterscheidung führt sie erst in Vita activa ein. Dem Begriff imperialer Macht, der diese erste Entwicklungsphase ihrer politischen Theorie bestimmt, korrespondiert ein konstitutionalistisches Verfassungsverständnis (IV). Im zentralen vorletzten Abschnitt werde ich dann den Übergang von der kommunikativen Handlungsmacht zu ihrer institutionellen Verkörperung in revolutionären Verfassungen darstellen (V). Abschließend folgen zwei kritische Punkte (VI)

II. Strukturell repressive Macht

Arendt beschreibt die moderne Gesellschaft in den soziologischen Kategorien einer kapitalistischen Eigentumsmarktgesellschaft.9 Diese Gesellschaft hat sich als Eigentumsmarktgesellschaft strukturell von der politischen Gemeinschaftssphäre öffentlicher Angelegenheiten (res publica) abgetrennt. Die Entgegensetzung von politischer und wirtschaftlicher Sphäre ist unproblematisch, problematischer – und zu Recht viel kritisiert worden – ist die Weigerung Arendts, beide Sphären als differenzierte Sphären derselben Gesellschaft zu betrachten und statt dessen auf der Linie eines deutschen Sonderwegs, der von Hegel bis Carl Schmitt reicht, das Politische als eine von der Gesellschaft getrennte und ihr normativ übergeordnete Sphäre (und jede Vergesellschaftung der Politik als Verfall10) zu verstehen. Ich komme darauf zurück (IV).
Weniger problematisch ist Arendts These, die wichtigsten Antriebskräfte der modernen Gesellschaft seien Kapital und Macht. „Kapitalakkumulation“ und der „Machtakkumulation“ treiben sich wechselseitig an und verstärken einander, um schließlich alle nationalstaatlichen Dämme zu überfluten, alle wohlgeordneten Hierarchien der Staatsgewalt und des Rechts zum Einsturz zu bringen und im totalitären den souveränen Staat zuerst von innen und dann von außen zu zerstören: „Der unbegrenzte Prozess der Kapitalakkumulation bedarf zu seiner Sicherstellung einer unbegrenzten Macht, nämlich eines Prozesses von Machtakkumulation, der durch nichts begrenzt werden darf außer durch die jeweiligen Bedürfnisse der Kapitalakkumulation.“11 Beide Akkumulationsprozesse basieren auf einem hochabstrakten, reflexiven Mechanismus, den Arendt als umweltblinden und grenzenlosen Expansionsprozess, “expansion for expansion’s” und “power for power’s sake”12 beschreibt: „Macht erscheint wie ein immaterieller Mechanismus, der mit jeder seiner Bewegungen mehr Macht erzeugt.“13

III. Imperiale Macht

Für Arendt ist der immaterielle Mechanismus reflexiver Machtakkumulation die der modernen Gesellschaft eigentümliche Form strukturell repressiver Macht. Sie kann als Akkumulationsmechanismus den Akteuren, die immer nur für ihren Vollzug im je eigenen Handeln verantwortlich gemacht werden können, nicht intentional zugeschrieben werden. Der immaterielle Mechanismus der Macht, der mit jeder ihrer Bewegungen mehr Macht erzeugt, ist für Arendt der eigentliche gesellschaftliche Ursprung des Totalitarismus. Wenn Arendt gleich im Titel ihres Buches vom Ursprung spricht, dann unterscheidet sie damit die philosophische Erschließung des Ursprungs einer Sache von der empirisch-historiographischen Erforschung ihrer jeweiligen Ursachen. Ihr geht es nicht um die kausale (oder intentionale Kette) geschichtlich-gesellschaftlicher Ursachen totalitärer Unterdrückung, sondern um den Nachweis eines latenten, strukturellen pattern (Ursprung), das mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit immer dann manifest wird, wenn eine Reihe historisch kontingenter Bedingungen (Ursachen) erfüllt sind.14
Zum ersten Mal in der Geschichte Europas wird der Mechanismus reflexiver Machtakkumulation unter den Bedingungen imperialer Herrschaft außerhalb Europas, in den europäischen Kolonien, manifest. Während ein reflexiver Mechanismus (expansion for expansions sake), der sich vom consent of the governed losgerissen hat, das exponential beschleunigte Wachstum repressiver Machtapparate erklärt, erklärt die strukturelle Gewalt eines durch administrativen Terrorismus verstärkten, ideologischen Konsens das (bis dahin unvorstellbar scheinende) Ausmaß und die konkrete Umsetzung der strukturellen Repressionsmacht, die konkrete Zerstörungs- und Vernichtungsleistung, und insbesondere die Selbstradikalisierung15 und Selbstzerstörung16 imperialer und totalitärer Regime.
An dieser Stelle macht Arendt jedoch eine geopolitische Unterscheidung zwischen imperialer und totalitärer Macht, die auch für ihr damaliges Verfassungsverständnis aufschlussreich ist. Im Unterschied zum Totalitarismus bleibt im Imperialismus die Differenz zwischen Normstaat und Maßnahmestaat geographisch-räumlich getrennt. In Europas zivilisierter Welt herrscht der Normstaat: rule of law. Auf dem Gebiet imperialer Herrschaft hingegen ist nur der Maßnahmestaat möglich: un-rule of law im Herzen der Finsternis.17 Erst im totalitären Doppelstaat der 1930er und 40er Jahre wird beides gleichzeitig auch inmitten der europäischen Zivilisation errichtet und die Grenze zwischen Norm- und Maßnahmestaat verwischt, so dass es schließlich zu einer vollständigen Entstaatlichung weiter Teile Europas kommt.18
Arendts Theorie strukturell repressiver Macht spiegelt die Entwicklung des internationalen Rechts während der langen Epoche des Jus Publicum Europaeum, die am 7. Juni 1494 in Tordesillas mit der Unterzeichnung des spanisch-portugiesischen Teilungsvertrags beginnt und erst nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands mit der Gründung der Vereinten Nationen am 26. Juni 1945 in San Francisco endet. Der Vertrag von Tordesillas teilte die Welt in zwei Hälften, die zivilisierten christlichen Fürstentümer Europas, aus denen später das System der säkularisierten europäischen Nationalstaaten hervorging und in denen das Jus Publicum Europaeum, das europäische Völkerrecht, galt, und den Rest der Welt, die riesigen, unzivilisierten, paganen Regionen außerhalb Europas. Diese teilte der Vertrag wiederum in zwei riesige Okkupations- und Expansionszonen, die vom Schutz durch das öffentliche europäische Völkerrecht, das Jus Publicum Europaeum ausdrücklich ausgenommen sind.19
Das Jus Publicum Europaeum basierte auf dem gleichen Recht der europäischen Mächte, Kriege nach Maßgabe des Kriegsrechts (jus in bellum) zu erklären und zu führen (jus ad bellum), Verträge zu schließen, Koalitionen zu bilden, die Neutralität zu erklären.20 Das war, vor allem nach der Bekräftigung und Erweiterung dieser Ordnung im Augsburger Religionsfrieden von 1555 und im Westfälischen Frieden von 1648, ein nicht unerheblicher Rechtsfortschritt, der das Völkerrecht in eine positive Legalordnung verwandelte und die bis dahin unaufgelöste Konfusion des gerechten mit dem legalen Krieg beseitigte.
Die Kehrseite der Medaille lag im Herzen der Finsternis. Dort endete das Reich europäisch öffentlicher Angelegenheiten, und der Rest der Welt wurde mitsamt seiner Bevölkerung zum potentiellen Privateigentum Europas (bzw. seiner Fürstenhäuser) erklärt, dem sich später (Nord-)Amerika und Japan hinzugesellten. Die fundamentale Unterscheidung, die das Jus Publicum Europaeum konstituierte, war die Unterscheidung zwischen gleichen Rechten für die europäischen Staaten und ungleichen Rechten für „das andere Kap“ (Derrida). Noch die belgischen Völkermorde im Kongo im späten 19. Jahrhundert wurden von den humanistischen europäischen Juristen, die sich 1873 im Namen von Freiheit, Gleichheit, Humanität, Weltfrieden, Parlamentarismus und Fortschritt im Institut de droit international in Genf vereinigt hatten, mit dem Argument gerechtfertigt, nur europäische Aktionen des belgischen Königs Leopold fielen unter das öffentliche Völkerrecht Europas, seine Aktionen im Kongo aber unter das Privatrecht des Besitzes, mit dem der Eigentümer Leopold machen könne, was er wolle.21 Leidige Tröster. Der Völkermord an den Schwarzen galt damals noch nicht als Gefährdung des Weltfriedens. Die Berliner Konferenz über die Zukunft Afrikas von 1884/ 85 bot den kolonialisierten und zur Kolonialisierung freigegebenen Völkern Autorität statt Jurisdiktion, Maßnahme- statt Gesetzesrecht.
Die imperialistische Gewalt vor die Tore der Stadt zu verbannen und zumindest Europa vor ihr zu verschonen, das war die große, wenngleich tief ambivalente Errungenschaft des modernen Nationalstaats. So jedenfalls stellt es sich Hannah Arendt Ende der 1940er Jahre dar. „Das bisher stärkste Bollwerk“, schreibt sie 1948, „gegen die schrankenlose Herrschaft der bürgerlichen Gesellschaft, gegen die Ergreifung der Macht durch den Mob und die Einführung imperialistischer Politik in die Struktur der abendländischen Staaten ist der Nationalstaat gewesen. Seine Souveränität, die einst die Souveränität des Volkes selbst ausdrücken sollte, ist heute von allen Seiten bedroht.“22
Mit der Bollwerksthese unterstellt Arendt freilich, dass Norm- und Maßnahmestaat, Jurisdiktion und Autorität zwei verschiedenen Rechtskreisen zugehören, die sich – wie im Völkerrecht des deutschen Konstitutionalismus, allenfalls berühren, aber niemals überschneiden.23 Was dann in den 1930er und 40er Jahren in Europa geschah und von völkischen und rassistischen Bewegungen vorbereitet wurde, konnte sie deshalb als Internalisierung einer der Zivilisation Europas fremden Herrschaftsform interpretieren. Sie kam zwar ursprünglich aus Europa, war aber der modernen Gesellschaft und nicht der alteuropäischen Zivilisation, der politischen Gesellschaft der cives, deren Erbe der Nationalstaat erfolgreich angetreten hatte, entsprungen. Aus externalisiertem Imperialismus wurde durch Internalisierung Totalitarismus. Die unmittelbare Konsequenz bestand in der Zerstörung des Jus Publicum Europaeum, dem Zerfall des Nationalstaats, der Auflösung seiner Souveränität, der Substitution von Gleichheit durch Vorrechte, von Staaten durch hegemoniale Großräume. Während der Imperialismus den europäischen Normstaat scharf vom außereuropäischen Maßnahmestaat scheidet, wird den totalitären Herrschern und ihren Juristen die ganze Welt zum Maßnahmestaat, und der sich selbst erhaltende Staat zum autodestruktiven Anti-Staat, zum Behemoth.

IV. Konstitutionalismus

Arendts Theorie des souveränen europäischen Nationalstaats verdankt sich freilich einer ideologischen Verklärung des Staats.24 Die Macht, die den Staat bedroht und zerstört, dringt ihr zufolge von außen, aus der Gesellschaft, aus dem „Mob“, aus dem Dunkel des Hauses (Oikos), schließlich aus dem Herzen der Finsternis in die Lichtung des öffentlichen Lebens, in Stadt, Polis, Republik und Staat ein und kolonialisiert sie als wären sie das fremde Territorium einer staatenlosen Gesellschaft. Legt man Arendts Theorie des Staats als Bollwerk gegen den sozialen „Mob“ und den gesellschaftlichen Imperialismus zugrunde, dann war der Völkermord im Kongo eine extralegale, nicht-öffentlichen Angelegenheit des Belgischen Königs und seiner Schergen, des ausgewanderten Mobs Europas, die auf dem staatsfernen gesellschaftlichen Mechanismus reflexiver Machtsteigerung beruhte und auch im Kongo nicht auf einen zivilisierten Staat, sondern auf eine Gesellschaft von Menschen traf, denen die politische Zivilisation Europas ebenso fremd war wie der modernen Gesellschaft des „Mobs“.
Deshalb erklärt Arendt sich die imperialistischen Gewaltausbrüche letztlich aus dem „Schrecken“ und „Entsetzen“, das „den europäischen Menschen befiel, als er Neger – nicht in einzelnen, exportierten Exemplaren, sondern als Bevölkerung eines ganzen Kontinents – kennen lernte […]. Es ist das Grauen vor der Tatsache, dass auch dies noch Menschen sind, und die diesem Grauen unmittelbar folgende Entscheidung, dass solche ‚Menschen‘ keineswegs unseresgleichen sein durften. […] Was sie von den anderen Völkern unterschied, war nicht die Hautfarbe; was sie auch physisch erschreckend und abstoßend machte, war die katastrophale […] Zugehörigkeit zur Natur, der sie keine menschliche Welt entgegensetzen konnten. Ihre Irrealität, ihr gespenstisch erscheinendes Treiben ist dieser Weltlosigkeit geschuldet. […] Die Unwirklichkeit liegt darin, dass sie Menschen sind und doch der dem Menschen eigenen Realität ganz und gar ermangeln. Es ist diese mit ihrer Weltlosigkeit gegebene Unwirklichkeit der Eingeborenenstämme, die zu den furchtbar mörderischen Vernichtungen und zur völligen Gesetzlosigkeit in Afrika verführt hat.“25
Der Imperialismus aber war, anders als Arendt in dem Zitat insinuiert, dem Rechtsstaat und dem öffentlichen Recht der europäischen Staatenwelt, dem Jus Publicum Europaeum keineswegs ebenso fremd wie die indigene Bevölkerung Afrikas oder Amerikas vor der Kolonialisierung, denn gleich nachdem die ersten Eroberer, Plünderer und Räuber, Emigranten, Humanisten und Juristen, Missionare, Folterknechte und Geometer, Naturforscher, Ethnologen und Henker den Boden der neuen Welt betreten hatten, beginnt – bereits in der spanischen Spätscholastik – der europäische Streit um ihren Rechtsstatus, der sie mitten in das Jus Publicum Europaeum hineinzieht.26 Der Imperialismus war von Anfang an weit davon entfernt, außerhalb des Jus Publicum Europaeum zu stehen und in einem rechtsfreien Raum jenseits von Staat und Zivilisation zu agieren. Es war nicht die vorgeblich staatsferne und politikvergessene moderne europäische Gesellschaft, sondern der Staat dieser Gesellschaft, der seinem öffentlichen Völkerrecht erst die Unterscheidungen von Zivilisation und Barbarei aufgeprägt und sie dann in die Unterscheidung von Norm- und Maßnahmestaat, von Jurisdiktion und Autorität umgesetzt hat. Der Imperialismus ist nicht der „Mob“, das „Kapital“ oder „die Macht“, der Imperialismus ist das Recht und der Staat der europäischen Zivilisation. „Der Bürger ist virtuell schon der Nazi“ (Adorno). Der Maßnahmestaat kam nicht aus dem Dunkel des Oikos, schon gar nicht aus dem Herzen der Finsternis. Nicht der „Mob“, nicht „die Gesellschaft“, das „Soziale“ und das „Kapital“ haben die Unterscheidung von Jurisdiktion und Autorität zu geltendem Völkerrecht gemacht. Sie haben sich lediglich auf den Boden des geltenden Jus Publicum Europaeum gestellt und im Rahmen dieses Rechts legal oder illegal gehandelt. Der Imperialismus kam aus der Mitte des zivilisierten Staats selbst, war sein öffentliches Recht.27 Leopold handelte in Afrika innerhalb dieses Rechts und seines Staats. Er war eine perfekte Verkörperung des europäischen Rechtsstaats, in Belgien als Bürgerkönig Mr. Hyde, im Kongo als Kolonialoffizier Dr. Jekyll. Zwei Seiten einer Münze. Das „Janusgesicht des Rechts“ (Habermas).
Der Maßnahmestaat, der Behemoth, der totalitäre Anti-Staat war von Anfang eine innere Möglichkeit des Normstaats und das latent totalitäre pattern die ihm eigentümliche Form struktureller Gewalt. Es war genau derselbe immaterielle Mechanismus reflexiver Machtakkumulation, der die Untaten des Imperialismus und Totalitarismus möglich gemacht und sich gleichzeitig als „bisher stärkste Bollwerk gegen die schrankenlose Herrschaft der bürgerlichen Gesellschaft (…) und die Einführung imperialistischer Politik“ erwiesen hat. Ohne die verselbständigte Exekutivgewalt, ohne die reflexive und dynamische administrative Macht des modernen Staats hätte kein „Mob“, hätten die mörderischen Ideologien des Antisemitismus, des biologischen und des kulturellen Rassismus und des völkischen Nationalismus nirgends eine totalitäre Herrschaft errichten, industrialisierte Verwaltungsmassenmorde und Genozide begehen und Weltkriege führen können.28
Nicht nur Imperialismus und Totalitarismus basieren auf der “automatic accumulation (of) total organizational power”29, genau darauf basiert auch die Macht des modernen Rechtsstaats, besteht seine Verfassung doch (von Hobbes bis Kelsen) in der strukturellen Kopplung Macht und Recht.30 Der europäische, amerikanische und japanische Imperialismus waren staatlich organisierte Angelegenheiten.
Arendt übersieht in ihrer Theorie des Imperialismus, dass es dieselbe rechtlich gebundene Staatsgewalt war, die Europa (und in Europa die bürgerlichen Klassen weit besser als die unteren) zumindest bis 1914 vor den gröbsten Übergriffen des Imperialismus bewahrt und die Bewohner des andern Kaps dem imperialistischen Maßnahmestaat ausliefert hat.31 Arendt verfehlt, ja verdrängt die negative Dialektik des Nationalstaats, weil ihr politisches Denken auf der dualistischen Scheidung von innen und außen, von „Zivilisation“ und „Barbarei“, des (human-zivilisierten) Politischen und der (unmenschlich-barbarischen) Sphäre des Sozialen basiert. Mit dem Dualismus des Politischen und Sozialen schließt Arendt keineswegs primär, wie sie selbst glaubte und wie sie meistens verstanden wird, an Aristoteles und die alteuropäische Unterscheidung von Polis und Oikos, bürgerschaftlicher/guter und despotischer/tyrannischer Herrschaft an, sondern viel mehr an den Rechtshegelianismus, das deutsche Staatsrechtsdenken und die im deutschen Bildungsbürgertum ihrer Generation ubiquitäre Rechtsstaatsideologie.
Der deutsche Konstitutionalismus unterscheidet sich wie der englische dadurch von den revolutionären Verfassungen der Amerikanischen und der Französischen Revolution, dass sein Paradigma die konstitutionelle Monarchie war, die eine schon bestehende, undemokratische Herrschaftsordnung durch Recht, Rechtstaatlichkeit und rule of law lediglich begrenzt. Durch die Verfassungsgebung bindet eine Herrschaft, die der Verfassung vorhergeht und eine „originäre Exekutive“, ein „unverfasstes Reservat öffentlicher Gewalt“ darstellt32, sich selbst (in gewissen, durch Prärogativrechte oft sehr weit gezogenen Grenzen) an die Herrschaft des Rechts. Herrschaftsbegrenzender Konstitutionalismus ist im 19. Jahrhundert entweder vordemokratisch und aristokratisch wie in England seit der Englischen Revolution oder, wie in Preußen und Deutschland, ein Versuch der alten Mächte, durchaus progressiv an die Französische Revolution anzuschließen, aber die demokratische Neubegründung egalitärer Herrschaft zu vermeiden, die für das republikanische, herrschaftsbegründende Verfassungsverständnis der beiden Großen Revolutionen des 18. Jahrhunderts wesentlich war.33

Arendt ist im (bis tief in die Sozialdemokratie wirksamen) Rechts- und Verfassungsdenken des deutschen Konstitutionalismus groß geworden, und letzterer hat die grundlegenden Kategorien ihrer politischen Theorie, trotz ihrer anfänglich großen Sympathien für die Französische Revolution und den Jakobinismus, bis Mitte der 1950er Jahre, also das Totalitarismusbuch und Vita Activa maßgeblich beeinflusst, und Motive des Konstitutionalismus bleiben in ihrem Werk, wie wir gleich sehen werden, auch dann noch wirksam, wenn sie ihn kritisiert und sich einem herrschaftsbegründenden Verfassungsverständnis zuwendet. Der rechtshegelianische Konstitutionalismus beruht auf drei kategorialen Unterscheidungen oder Dualismen, die auch Arendts Bollwerkthese zugrunde liegen:

Der Staat ist, anders als in der Soziologie oder in den revolutionären Verfassungstheorien des 18. Jahrhunderts, nicht der Staat der (Bürger-)Gesellschaft, sondern eine kategorial von der Gesellschaft getrennte Entität. Carl Schmitt im Begriff des Politischen (1928) oder Hannah Arendt in Vita Activa (1955) haben den Staat zwar durch den Begriff des Politischen ersetzt, aber nur, um die unüberbrückbare Differenz von der politischen Existenz/Aktion zur Gesellschaft und ihrer Händlermentalität noch schärfer zu betonen. Das hat in dem einen (Staat vs. Gesellschaft) wie dem andern Fall (Politik vs. Gesellschaft) eine Unterschätzung der Gefährdung des Rechtsstaats durch die exekutive Staatsgewalt bei gleichzeitiger Überschätzung der Gefährdung von Staat, Recht und Verfassung durch den „Mob“ oder die von Schmitt wie Arendt so verachtete „Massendemokratie“ zur Folge.34
Das Staatsorganisationsrecht ist von den individuellen Rechten der Bürger abgelöst.35 Das führt zu einem unpolitischen (und by the way besitzindividualistischen) Verständnis von Rechten36, von dem noch Carl Schmitts berühmte Unterscheidung von Legitimität und Legalität zehrt und das in Gestalt der entpolitisierten Religionsfreiheit37 und der verfassungsrechtlichen Grundrechtsklage38 sogar im Staat des Grundgesetzes wiederauferstanden ist. Ganz auf der Linie des konstitutionalistischen Rechteverständnisses sind Rechte und Gesetze für Arendt politisch neutralisierte Zäune, die Übergriffe gesellschaftlicher Mächte auf die Politik ebenso unmöglich machen sollen wie außergesetzliche Eingriffe der Staatsgewalt in die privaten Angelegenheiten seiner Bürger.39
Schließlich wird in einem dritten, völkerrechtlichen Dualismus die Staatssouveränität zusammen mit der außenpolitische Prärogativgewalt der Exekutive von der auf Innenpolitik begrenzten Volkssouveränität abgetrennt. Das führt dazu, dass das internationale Recht der Staatssouveränität untergeordnet und die Demokratie in die Grenzen des Nationalstaats eingemauert wird. Noch in Über die Revolution, einem Buch, in dem sie den Konstitutionalismus scharf kritisiert (s. u.), verteidigt Arendt den Vorrang der Exekutive und die Prärogativgewalt des US-Präsidenten in der Außenpolitik mit konstitutionalistischen Argumenten.40
Die gesellschaftliche Funktion herrschaftsbegrenzender Verfassungen ist die Stabilisierung und Effektivierung undemokratischer Herrschaft durch Verrechtlichung. Es ist dasselbe Recht, das aufgrund seiner Allgemeinheit und seines Formalismus die Schwachen vor den Mächtigen schützt und doch gleichzeitig die Macht der Mächtigen über die Schwachen stabilisiert, erweitert, steigert.41 Wie wir gleich sehen werden, ist – im Unterschied zum Konstitutionalismus – der Zweck der herrschaftsbegründenden Verfassung, die kommunikative Macht des Volkes durch Verrechtlichung zu stabilisieren und zu steigern, und an der Verwirklichung dieses Ziels ist sie zu messen.

V. Eine Verfassung der permanenten Revolution

Schon wenige Jahre nach dem Erscheinen von „Vita Activa oder Vom tätigen Leben“ vollzieht Arendt eine verfassungstheoretische Wende und entwickelt 1963 in „Über die Revolution“ die ganz andere Idee einer Verfassung, die dem Konstitutionalismus diametral entgegensteht. Jetzt erst, fast zwei Jahrzehnte nach Ihrer Flucht in die Vereinigten Staaten, eignet sie sich die amerikanische politische Theorie und das herrschaftsbegründende Verfassungsdenken der Founding Fathers an. Sie entdeckt, dass deren Verfassungsverständnis mit ihrer eigenen Idee der kommunikativen Macht des acting in concert and conflict (s. o. Tabelle 2, Zelle 2) eng verwandt, aber nicht mehr handlungstheoretisch, sondern strukturell auf die politischen Institutionen bezogen ist (Tabelle 2, Zelle 4).

Die Macht, um die es Arendt in Über die Revolution geht, ist nicht mehr die Macht, die auf der Straße liegt, sondern die Macht, die in den Institutionen einer Constitutio Libertatis verkörpert ist. Sie fragt jetzt nicht mehr nach der plötzlichen Entstehung, der Natalität kommunikativer Macht, sondern wie diese stabilisiert, erhalten und erweitert werden kann. Kaum hat sie sich diese Frage gestellt, muss sie einsehen, dass der bloß herrschaftsbegrenzende Konstitutionalismus die gegenteilige Funktion hat, die Bildung und Erweiterung kommunikativer Macht zu unterdrücken.42 Sie geht deshalb zur Rechtsstaatsideologie, die ihrem ursprungsphilosophischen Impuls ohnehin nie entgegenkam, auf Distanz und nennt den Konstitutionalismus ein „konterrevolutionäres“ Projekt, das nur dazu geschaffen worden sei, die „revolutionäre Macht des Volkes zu brechen“ und ein „tiefes Misstrauen gegen das Volk“ zu verbreiten, um „einer verhältnismäßig kleinen Gruppe von technischen Spezialisten“ Mittel „im Klassenkampf“ zu verschaffen.43 Gegen dieses Projekt setzt sie mit Thomas Jefferson fortan auf die Idee einer permanenten Revolution. Als erst die Russische, dann die Chinesische Revolution diese Idee im 20. Jahrhundert aufgriffen, war das keineswegs ein Fehler. Der Fehler, der dann sofort zum Einfallstor des Totalitarismus wurde, bestand jedoch darin, die permanente Revolution jenseits der Verfassung der Freiheit, und das hieß für Arendt jetzt vor allem, nach gründlicher Lektüre der Federalist Papers, unter Aufhebung der Gewaltenteilung zu riskieren.44 Der Focus ihres Interesses verschiebt sich von Rechtsstaat als herrschaftsbewahrendem Hüter der Rechte zum Staatsorganisationsrecht, zum Staat als herrschaftsbegründender Organisation geteilter und koordinierter Gewalten.
Politische Macht, so führt Arendt den Begriff zunächst in „Vita activa oder Vom tätigen Leben“ ein, beruht im Unterschied zur bürokratischen Gewalt auf der „Meinung, auf die sich viele öffentlich geeinigt haben“.45 Sie ist insofern kommunikative Macht, als sie auf der Fähigkeit zur sprachlich artikulierten Negation (Natalität) beruht und immer nur intersubjektiv, „zwischen Menschen, wenn sie zusammen handeln“, entstehen kann.46 Solche Macht ist spontan, unberechenbar, erfinderisch, neuerungssüchtig, fordert die „Lust am Experimentieren“ heraus.47 Macht ist öffentlich, sie gehört niemandem, ist niemandes Privateigentum.48
Erst in „Über die Revolution“ wird der radikale Egalitarismus, der eng mit diesem Begriff der Macht verwandt ist, ganz deutlich. Macht ist sozial inklusiv, denn das gemeinschaftliche Handeln, aus dem sie hervorgeht und das sie ermöglicht, kommt nur zustande, wenn es „von vornherein für alle geöffnet“ ist.49 Es wird nur dadurch zur kommunikativen Macht, dass es „die Vielen mit einbezieht, auf deren Motivation – ob sie z.B. ein ‘unerwünschtes Gesindel’ sind – nichts mehr ankommen darf“, ebenso wenig wie auf ihre „Vergangenheit und Abstammung“.50
Die Macht, die im Handeln entsteht, ist von „revolutionärem Geist“.51 Sie trägt Jeffersonsche, utopische und apokalyptische Züge. Im performativen Vollzug gemeinschaftlichen Handelns, so betont Arendt immer wieder, entsteht ein „ungeheures Machtpotential“52, eine, wie sie ausdrücklich sagt, “unlimited power”.53 „Volksaufstände“ können „gegen die materiell absolut überlegenen Gewaltmittel eines Staates eine fast unwiderstehliche Macht erzeugen“.54 Arendt meint was sie sagt: absolut, unbegrenzt, ungeheuer. Solche Macht beruht auf keinem instrumentellen Kalkül, denn im Handeln, so sagt Arendt unter ausdrücklicher Berufung auf Jesus von Narzareth, wissen die Handelnden nicht was sie tun.55 Das Neue, das die Aktion zum Entstehen bringt, ist deshalb ein „Wunder“ 56, das in die „Helle des Menschlichen“57 führen, aber auch schrecklich scheitern und Schrecken ohne Ende bringen kann. Vorher kann man das nicht wissen. Die „Männer der Revolution“ schauen immer in einen „Abgrund“.58 Auf Macht „ist kein Verlass“, und Handeln ist die „gefährlichste aller menschlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten“.59
Die stets ambivalente, utopisch-apokalyptische, latent revolutionäre Macht existiert jedoch nur „im flüchtigen Augenblick des gemeinsamen Handelns“, und „sie verschwindet“, sobald die Versammelten „sich wieder zerstreuen“60 Wie lässt sie sich erhalten? Darin besteht das Rätsel aller Verfassungen, die eine „Herrschaft Beherrschter“61 begründenden wollen. Wie ist es möglich, durch eine Verfassung die kommunikative „Macht“ einer Bürgerschaft immer wieder “neu zu etablieren“ „und nicht einfach Macht zu limitieren“ 62 Wie muss eine Verfassung beschaffen sein, die eine kommunikative Macht stabilisieren kann, die unbegrenzt und nahezu unwiderstehlich ist, die eine alte Ordnung vernichtet, um eine neue zu gründen, die jede politische Institution, auch die gerade geschaffene Verfassung ändern kann? Diese Frage kann Arendt mit Jeffersons Jakobinismus nicht mehr beantworten, also wendet sie sich der anderen Quelle ihres späten politischen Denkens, dem Institutionalismus Madisons zu.63

Bei den Founding Fathers fand Arendt den Schlüssel zur Lösung des Problems: Machterhalt und Machtsteigerung durch Gewaltenteilung und Gewaltengliederung. Diese Lösung hat zwei Seiten, die Arendt selbst freilich nie scharf genug auseinander halten hat, eine funktionale (1) und eine normative (1):

Machtsteigerung durch Differenzierung und Dezentrierung der Gewalten ist zunächst nichts anderes als die Anwendung der alten, auf Spencer und Durkheim zurückgehenden soziologischen Einsicht, dass Differenzierung die Leistungsfähigkeit eines sozialen Systems erhöht, auf das politische System der Gesellschaft. Die doppelte, sachliche und räumliche „Teilung der Macht“ in Staatsgewalten und Gliedstaaten, die von der US-amerikanischen Verfassung normiert wird, soll das „Gemeinwesen mächtiger machen“ als „ihre Zentralisierung.“64 Schon die Founding Fathers wussten mit Luhmann, dass „absolute Macht“ bestenfalls „geringe Macht“ ist.65 Indem die Verfassung, so zitiert Arendt John Adams, die „Macht“ der „Macht“, die „Kraft der Kraft“, der „Stärke der Stärke“ und die „Vernunft der Vernunft“ konfrontiert, macht sie die „Macht mächtiger, die Kraft kräftiger, die Stärke stärker, die Vernunft vernünftiger.“66 Diese gesellschaftliche Funktion der Gewaltenteilung, Macht durch Teilung mächtiger zu machen, erfüllt freilich die herrschaftsbegrenzende ebenso gut wie die herrschaftsbegründende Verfassung.
Deshalb ist mit der Funktion der Machtsteigerung durch Machtteilung die normative Erwartung, die eine revolutionäre Bürgerschaft an ihre Verfassung stellt, noch nicht erfüllt. Der Unterschied zur herrschaftsbegrenzenden Verfassung kommt erst in der normativ begründeten demokratischen Einbeziehung aller von politischen Entscheidungen betroffenen Akteure zum Vorschein. Auch hier heißt die Lösung des Problems Gewaltenteilung, aber diesmal geht es um die Erzeugung der kommunikativen Macht des allgemeinen Willens durch normative Integrationsleistungen. Erst unter diesem Gesichtspunkt wird die Gewaltenteilungslehre zu einer juristischen „Technik, um die […] rechtsetzende volonté générale im Gesetz zu ungetrübter Herrschaft zu bringen“67. Die Kompetenz- und Organisationsnormen der Verfassung, das „ganze System von Abhängigkeiten, wie Wahl, Gegenzeichnung, Parlamentarismus, Referendum, Initiative“, die Normierung der Verfahrenswege, der Rechte und Pflichten des Präsidenten, der Regierung, der Legislative usw. ist nur dazu da, „das Ausgehen der Staatsgewalt vom Volke juristisch zu garantieren“.68 Die verschiedenen Staatsgewalten müssen so gegliedert sein, dass sie die Permanenz der verfassungsgebenden Gewalt gewährleisten und ein Macht generierendes Handeln ermöglichen, das sich als permanente legale Revolution zwar in den „bestehenden Institutionen abspielt“, aber als permanente legale Revolution einen „auf Dauer gestellten verfassungsgebenden Prozess“ darstellt.69
Während der Konstitutionalismus die Macht durch Fragmentierung der Staatsgewalten nur begrenzt, um zusammen mit der Herrschaft des Rechts die repressive Organisationsgewalt der vormals politisch herrschende Klasse bzw. einer „originären Exekutive“ (Müller) zu stabilisieren und zu erweitern, trennt die revolutionäre Verfassung die Gewalten, um sie im normativen Emanzipationsinteresse gleicher und freier Willensbildung funktional besser und effektiver zu koordinieren. Die Kompetenz- und Organisationsverfassung, die für Arendt wie für Madison, Sieyes und Kant das Kernstück jeder Verfassung ist und ohne die alle feierlichen Rechteerklärungen nicht das Papier, auf das man sie gedruckt hat, wert sind, schreibt ein komplexes System der check and balances vor, das allein den Sinn hat, die Macht der „verfassungsgebenden Gewalt“, die in der Revolution „an das Volk übergegangen war“, in den neuen Institutionen wirksam werden zu lassen.70 Zu diesem Zweck muss das System der check and balances in revolutionären Verfassungen so organisiert sein, dass

die konstituierten Staatsgewalten und Staaten sich wechselseitig davon abhalten, ihre administrative Macht zu gebrauchen, um die „ursprüngliche“ kommunikative Macht „der Vielen“ zu „zerstören“, und dass

die konstituierenden Volksgewalten71 ihre kommunikative Macht durch Bildung immer wieder neuer „Machtzentren“ wechselseitig verstärken können.72

In einer herrschaftsbegründenden Verfassung muss Begrenzung und Steigerung der Macht so ineinander greifen, dass die Begrenzung die Steigerung hervorbringt. Aber nicht jede Begrenzung führt zur Steigerung kommunikativer Macht, sondern nur diejenige, die durch Begrenzung der strukturell repressiven Organisationsmacht (Tabelle 1, Zelle 3) eine strukturell konstitutive und potentiell emanzipatorische Macht (Tabelle 1, Zelle 4) stabilisiert. Das System der check and balances soll die administrative Macht der staatlichen Organe und Gliedstaaten (oder mit Arendt: der „Teilrepubliken“ – oder in der Schweizer Verfassung: der „Kantone“) durch reziproke Blockaden so begrenzen, dass eine Gesetzgebung von unten zustande kommt, in der sich die grenzüberschreitende kommunikative Macht des Volkes durch reziproke Verstärkung dezentrierter Öffentlichkeiten immer wieder von neuem zur gesetz- und verfassungsgebenden Gewalt formieren kann.

Das hat unmittelbar zur Konsequenz, dass eine revolutionäre demokratische Verfassung die Bedeutung demokratischer Selbstgesetzgebung und Gleichheit niemals endgültig auf “any particular set of institutions and practices” einschränken darf, solange sie noch demokratisch und das heißt, imstande ist, die kommunikative Macht der verfassungsgebenden Gewalt zu erhalten.73 Nur dann nämlich, wenn der kommunikativen Macht der von bindenden Entscheidungen jeweils betroffenen Bevölkerung durch die fortbildende Ausgestaltung der Verfassung immer wieder neue Gründungs- und Begründungsmöglichkeiten erschlossen werden, kann das in der Revolution freigesetzte Machtpotential der Gesellschaft erhalten und gesteigert werden. Deshalb hat das Rätsel aller Verfassungen, wie Susan Marks schreibt, auch keine definitive Lösung, sondern muss offen bleiben für die Artikulation bislang unterdrückter und ausgeschlossener Stimmen, für neue Erfahrungen mit der sozialen Welt, für neue Interpretationen individueller und kollektiver Selbstbestimmung, die durch Kontexte provoziert werden, die sich in der modernen Gesellschaft immer rascher ändern.74 Der normative Bedeutungsüberschuss75 von Wörtern wie Gleichheit, Freiheit, Demokratie und die reflexive Bindung jeder politischen Bedeutungsfestlegung an freie und gleiche Selbstbestimmung transzendiert alle bestehenden Formen und Prozeduren demokratischer Legitimation. Niemals kann und darf sich die Bedeutung von Demokratie, Freiheit und Gleichheit sich in “representative government” und “national government” erschöpfen.76 Damit nähert sich Arendts Theorie einem expansiven und sozial inklusiven demokratischen Experimentalismus77, der als „Transzendenz von Innen“ und „ins Diesseits“ (Habermas) an keiner Grenze halt macht, aber nicht, um alle Grenzen hinter sich zu lassen, sondern um an immer wieder neuen Grenzen den unabschließbaren demokratischen Lernprozess fortzusetzen.78

VI. Selbstwidersprüche

Soweit geht Arendt jedoch nicht. Sie möchte vielmehr die Dynamik und den inklusiven Sog politischen Handelns durch einen unpolitischen Gesetzesstaat und unpolitische Landesgrenzen abbremsen. Das liegt aber nur daran, dass sie den Konstitutionalismus nicht radikal genug kritisiert hat. Deshalb hat sie versucht, ihre Theorie kommunikativer Macht und herrschaftsbegründender Institutionen (1) mit dem (der US-amerikanischen Verfassung fremden) Dualismus von unpolitischen Rechten und politischen Organisationsnormen zu versöhnen und (2) mit der dualistischen Trennung von Innen- und Außenpolitik, von Volks- und Statssouveränität, die sie als konstitutionalistisches Relikt in der US-amerikanischen Verfassung vorgefunden hat, zu kompatibilisieren.

(1) Für Arendt sind Rechte und Gesetze, sind überhaupt geschriebene Verfassungen und Rechtstexte Zäune, die wie Stadtmauern (oder die Schrift) Produkte von Technik und Poiesis sind. Während sie die Gewaltenteilung, also den Organisationsteil der Verfassung der Politik und dem Staat zuordnet, bleiben die Rechte draußen vor in der Gesellschaft, die dafür sorgt, dass die Politik überhaupt einen bebauten, von Menschen hergestellten Raum hat, in dem sie dann als Krone des menschlichen Lebens agieren kann, um das menschliche Gattungswesen, das zoon politikon zu verwirklichen. So wie die Stadtmauern den Raum der politischen Praxis vor äußeren Feinden, so schützen Rechte und Gesetze diesen Raum vor den inneren Feinden des politischen Gemeinwesens: den Mächten der Gesellschaft, dem Kapital, dem „Mob“, der Bürokratie, dem administrativen Staatsapparat und der Polizei.79 Rechte und Gesetze durchdringen den Raum politischen Handelns nicht und gehören für Arendt deshalb auch nicht zum performativen Vollzug solcher Praxis. Statt bloße Verdichtungen politischen Handelns zu sein, bleiben sie ihm äußerlich. Dann aber ist es nur konsequent, wenn Arendt das Verfassungsgericht, das sie unpolitisch als eine Art pouvoir neutre (Carl Schmitt) versteht, zum souveränen Sachwalter der Verfassung und der Rechte erklärt und deren Fortbildung und Anpassung an wechselnde Weltlagen einer kunstfertigen Elite weiser Techniker, den Architekten der inneren Stadtmauern, vorbehalten wissen möchte.
Dadurch wird freilich jede Möglichkeit einer Politik der Rechte ausgeschlossen, obwohl diese doch allen großen Befreiungsbewegungen der westlichen Welt, von der Befreiung der Sklaven über die Arbeiterbewegung (und zumindest dieser Bewegung stand Arendt immer sehr nahe) bis zur Frauenbewegung und zur Rights Revolution der 1960er und 70-er Jahre80 die Stichworte und Ziele geliefert hat. An einem Teil der Rights Revolution, der amerikanischen Antivietnamkriegs- und der Studentenbewegung hat Arendt denn auch ihren eigenen Begriff kommunikativer öffentlicher Macht ausdrücklich noch einmal expliziert.81 Aber diesen Bewegungen politischer Macht waren die Rechte und das Recht nicht äußerlich, sondern wesentliches Element ihrer Praxis, Medium ihrer kommunikativen Ermächtigung.
Die Rechte, auf die sich alle Befreiungsbewegungen berufen und deren Konkretisierung sie verlangt haben, bilden mit der Gewaltenteilungslehre der Verfassung eine Einheit, aus der sie sich nur um den Preis kommunikativer Entmächtigung herauslösen lassen.82 Dieser innere Zusammenhang von Rechten und Staatsorganisationsnormen, der den Founding Fathers ebenso selbstverständlich war wie Sieyes, Kant und den Jakobinern, ist nirgends knapper und klarer ausgedrückt worden als im Artikel 16 der französischen Menschenrechtserklärung vom August 1789, in dem es heißt: Eine Gesellschaft, in der die Verbürgung der Rechte nicht gesichert und die Gewaltenteilung nicht festgelegt ist, hat keine Verfassung.
Die in diesem Artikel festgehaltene, genuin politische Bedeutung der Rechte für die Demokratie liegt darin, dass sie als „negative Kompetenzbestimmungen“83 die jeweilige politische Organisation/ Ordnung für egalitäre Erweiterungen sozialer Inklusion (vormals unterdrückter Stimmen, Gruppen, Geschlechter, Schichten, Regionen usw.) normativ rechtlich (und nicht nur symbolisch) offen halten. Die Verwirklichung unserer Rechte fängt beim Staatsorganisationsrecht an und setzt sich von dort aus auf allen Stufen der Gesetzgebung und Normkonkretisierung fort, und auch die Verfassungsgerichtsbarkeit ist nichts anderes als ein Moment dieses großen demokratischen Konkretisierungsprozesses. „Die politische Verwirklichung des Systems der Rechte ist eine Praxis, die sich nach Maßgabe und in den Bahnen des schon bestehenden Systems der Rechte vollzieht. Die Verfassungsnormen selbst legen das Verfahren fest, nach dem sie sich im Lichte wechselnder Umstände ‚konkretisiert’.“84 Erst die Politik der Rechte macht Politik zur immanenten Transzendenz, die es ermöglicht, nicht nur ein prächtiges Schauspiel zu liefern, sondern auch aus schlechten Erfahrungen politisch zu lernen und politische Fehler zu korrigieren. Aber genau diese rein immanente Verbindung von Politik und Wahrheit blockiert Arendt durch die Externalisierung der Rechte aus dem Raum des Politischen.

Trennt man hingegen Rechte als entpolitisierte Technik- bzw. Poiesis-Produkte kategorial, ontologisch oder transzendental von den Organisationsnormen der politischen Praxis ab, dann wird zumindest demokratische Politik, die eine Politik der Rechte ist, unmöglich gemacht. Die Rechte werden in den transzendentalen Himmel gehoben, um auf Erden im Augenblick ihrer feierlichen Verkündigung zu verstummen. Unmöglich wird dann, was die revolutionäre Verfassung doch bewahren, verstetigen und erweitern sollte: die egalitäre und inclusive Bildung kommunikativer Macht.

(2) Auch jenseits der Staatsgrenzen verlieren die Rechte, die außerhalb der Staatsbürgerschaft Menschenrechte sind, keineswegs, wie Arendt immer kritisiert hatte, ihren politischen Charakter.85 Wenn wir das Modell der herrschaftsbegründenden Verfassung auch in der internationalen Politik und im Völkerrecht zum Maßstab nehmen, müssen wir die Menschenrechte als individuelle Ermächtigungen (empowerment) zur Bildung einer Weltöffentlichkeit durch den Gebrauch kommunikativer Macht diesseits und jenseits der nationalen Grenzen verstehen und können sie nicht mehr auf ein Recht auf Bürgerrechte in einem je spezifischen Nationalstaat reduzieren.86 Sie werden vielmehr zu Weltbürgerrechten.

Die menschenrechtsskeptische Reduktion der Rechte auf den Nationalstaat und der Menschenrechte auf Staatsbürgerrechte, denen die Tautologie vom Recht auf Rechte nichts Neues hinzufügt, ist eine Besonderheit der Amerikanischen Verfassung. Diese hatte zwar in ihrer Unabhängigkeitserklärung (die ja Teil des geltenden Verfassungsrechts ist) bereits die nationalstaatlichen Schranken überschritten und mit der Kreierung eines völlig neuen, an individuelle Gleichheitsrechte (“All men are created equal“) gekoppelten, Selbstbestimmungsrechts der Völker die nationalen Grenzen der Demokratie bereits überschritten. Aber dieser kühne, auf das Völkerrecht des 20. und 21. Jahrhunderts vorgreifende Schritt wird im Kompetenz- und Organisationsrecht der Amerikanischen Verfassung sogleich wieder zurückgenommen. Mit der außenpolitischen Prärogative des Präsidenten tritt die revolutionäre Verfassung in den Schatten des Konstitutionalismus zurück. Die äußere Staatssouveränität wird nach dem Vorbild des englischen Königs von der inneren Volkssouveränität, die alles, was das englische Verfassungsrecht damals zu bieten, weit hinter sich lässt, getrennt. 1788 war das Realpolitik, galt es doch, den englischen König in einem der opferreichsten Kriege, den die Vereinigten Staaten je geführt haben (1% der Bevölkerung starb durch Kriegsgewalt, nur im Bürgerkrieg waren es mehr), zu besiegen.

Aber, wie so oft hatte das, was realpolitisch in der Situation gut begründet war, fatale Folgen für die spätere Entwicklung der äußeren Verfassung Amerikas.87 Die Konsequenz war allgemein und kehrte in der Amerikanischen Außenpolitik als Konstante dann immer wieder: Absolutes Königtum gegen die Andern, Demokratie für uns.88 Das absolute Königtum nach außen hatte überdies eine starke Tendenz, sich ins Innere des Landes zurück und gegen die Bürgerrechte zu schlagen. Gegen diesen Rückschlag hat Arendt sich zwar immer gewehrt89, aber trotzdem sah sie in der inkonsistente Verbindung einer revolutionären demokratischen Verfassung mit autoritärem Konstitutionalismus eine besondere Weisheit am Werk.90 Das hat wiederum eine systematische Ursache, und wiederum ist es die ursprungsphilosophische Auszeichnung des Politischen, die sie vor einem konsequent herrschaftsbegründenden Verfassungsverständnis zurückschrecken lässt. Politisches Handeln kann ihr zufolge immer nur in dem theatralischen Raum erscheinen, der durch Stadtmauern und Gesetze äußerlich eingezäunt ist. Außenpolitik hingegen ist für Arendt nur strategische Technik und Kunstfertigkeit, diplomatisches Geschick und tüchtiges Handwerk im Umgang mit potentiellen Feinden der Polis. Die Polis, der Raum des politischen Handelns und der kommunikativen Machtentfaltung ist durch die Landesgrenzen scharf von aller auswärtigen Politik getrennt, und deren Paradigma letztlich die Kunst des Krieges.91 Dann aber wäre Außenpolitik nur die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Das einzige stichhaltige Argument, das Arendt in diesem Zusammenhang hat, ist der Hinweis darauf, dass es kein politisches, überhaupt kein Handeln und schon gar keine kommunikative Macht ohne Grenzen gibt.92 Aber auch jenseits der nationalen Grenzen fängt nicht der leere Raum an, auch dort gibt es eine menschliche Welt und neue Grenzen. Aber eine solche politische Transzendenz von Innen und ins Diesseits würde Arendts transzendentalen Dualismus sprengen.

Anmerkungen

1 Hauke Brunkhorst ist Professor für Soziologie an der Universität Flensburg. Der Text beruht auf dem Text seines Eröffnungsvortrags des Colloquiums Citizenship and Cosmopolitanism in Hannah Arendt: Hoger Instituut voor Wijsbegeerte, Katholische Universität Leuven im Dezember 2006. http://soc.kuleuven.be/pol/pol_denken/docs/HA-Affiche-08-11-2006.pdf. Hannah Arendt, Macht und Gewalt, München: Piper 1970, 42.

2Hannah Arendt, “On Violence” in: Crisis of the Republic. San Diego, New York, London: Harcourt Brace and Company. 1972, S. 140.

3 Beide Begriffe, Arendts Begriff politischer und Habermas Begriff kommunikativer Macht, markieren (bei aller Übereinstimmung) die Differenz beider Denker zum politischen Liberalismus, wie er heute exemplarisch von Rawls oder Dworkin vertreten wird. Da es mir hier auf die Unterschiede zwischen Arendt und Habermas, die nicht im Begriff der Macht, sondern in dem der Rationalität liegen, nicht ankommt, werde ich im folgenden den Begriff der kommunikativen Macht äquivalent mit Arendts Machtbegriff verwenden, um Arendts Theorie der Macht neu zu interpretieren. Diese Begriffswahl hat den Vorteil, Arendts unglückliche Unterscheidung von Macht und Gewalt von vornherein zu vermeiden, die es nicht erlaubt, politische Macht als gesellschaftliches Phänomen zu verstehen (dazu unten Abschnitte IV und VI).

4 David Strecker, Logik der Macht, Diss. phil., Berlin: Otto Suhr Institut 2006, S. 60, S. 129.

5 H. Brunkhorst, Einführung in die Geschichte politischer Ideen, München: Fink (UTB), S. 214ff, hier: S. 225f.

6 S. jetzt auch: Sonja Buckel, Andreas Fischer-Lescano (Hrg.), Hegemonie gepanzert mit Zwang. Zivilgesellschaft und Politik im Staatsverständnis von Antonio Gramsci, Baden-Baden: Nomos 2007

7 Zu Parsons: Strecker, Logik der Macht, S. 53.

8 Das hat Marx exemplarisch an Hegels Begriff des objektiven Geistes gezeigt und ihn deshalb durch den Begriff der (bürgerlichen) Ideologie ersetzt ist. Aus der Perspektive kritischer Machttheorien ist es danach immer wieder beobachtet worden, zuletzt: Jürgen Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt: Suhrkamp 1985.

9 Zum Begriff der „Eigentumsmarktgesellschaft“: C. B. MacPherson, Die politische Theorie des Besitzindividualismus, Frankfurt: Suhrkamp 1973.

10 Zur weitgehenden Übereinstimmung in diesem Punkt siehe nur: Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, Berlin 1931, zit. n. d. Ausgabe Berlin: Duncker&Humblot 1985; H. Arendt, Vita Activa oder Vom tätigen Handeln.

11 H. Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München: Beck 1991, S. 248.

12H. Arendt, The Origins of Totalitarianism, New York 1979, Seiten 215, 217, 351. Vgl. a. Elemente und Ursprünge, Seiten 211, 222, 347, 351, 363, 643f. Zum reflexiven Mechanismus: Niklas Luhmann, „Reflexive Mechanismen“, in: Soziologische Aufklärung 1, Opladen: Westdeutscher Verlag 1974, S. 92-112.

13 Arendt, Elemente, S. 646.

14 Sie orientiert sich bei dieser Unterscheidung an Kant und Heidegger. Kant hatte den (Geltungs-)Ursprung einer Erscheinung oder einer Handlung von ihrem (kausalen) Uranfang unterschieden, und Arendts Lehrer Heidegger hatte daran angeschlossen und den Ursprung aus dem transzendentalen Bewusstsein in die Geschichtlichkeit des (menschlichen) Daseins zurückverlegt und dabei seinerseits die Ontologie der Geschichtlichkeit scharf von der kausalen Geschichte abgegrenzt.

15 Vgl. Hans Mommsen, „Der Nationalsozialismus. Kumulative Selbstradikalisierung und Selbstzerstörung des Regimes“, in: Meyers Enzyklopädisches Wörterbuch, Stuttgart: Klett, 1976, S. 785-790; H. Mommsen, „Die ‘Endlösung der Judenfrage’ im ‘Dritten Reich’, in: Gesellschaft und Geschichte 9, 1983, S. 381-420; Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft. 1903-1989, Bonn: Dietz, 1996.

16 Arendt, Origins of Totalitarianism, S. 417. In der späteren, deutschen Version des Buches schreibt sie mit Bezug auf Stalin, „dass die Fremdherrschaft, welche totalitäre Regierungen in jedem, auch dem eigenen Land errichten, nirgends schließlich furchtbarer und blutiger wütet als in dem eigenen.“ (Arendt, Elemente, S. 644). Aber Ähnliches scheint auch auf das Nazi-Regime zuzutreffen. In der englischen Ausgabe schreibt sie abweichend: “The Nazis behaved like foreign conquerors in Germany when, against all national interests, they tried and half succeeded in converting their defeat into a final catastrophe for the whole German people” (Arendt, Origins, S. 416).

17 Zur Unterscheidung von Norm- und Maßnahmestaat, auf die Arendt auch zurückgreift: Ernst Fraenkel, Doppelstaat, Hamburg 2001. Zum „un-rule of law“: Guillermo O’Donnell, The Unrule of Law and the Underprivileged in Latin America. Notre Dame,1998, Zum Herz der Finsternis instruktiv die Norton-edition von Conrads Erzählung: Joseph Conrad, Heart of Darkness, Norton Critical Edition, New York 2005.

18 Zur Entstaatlichung und Fragmentierung nationalsozialistischer Macht: Franz Neumann, Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt a. M. 1993.

19 Carl Schmitt, Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, Berlin: Duncker&Humblot 1988 (1950), Seiten 55, 57.

20 Carl Schmitt, Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum (Berlin: Duncker und Humblot 1988 [1950]), Seiten 55, 57. Dazu jüngst die Beiträge von Brunkhorst, Koskenniemi u.a. zum Nomos der Erde, in: Constellations Vol. 11, No. 4, 2004.

21 Martti Koskenniemi; The Gentle Civilizer of Nations, Cambridge MA 2001, S. 98ff. Zur gesamten Epoche: Antony Anghie, Imperialism, Sovereignty and the Making of International Law, Cambridge 2004.

22 Arendt, Die verborgene Tradition, Frankfurt a. M. 1976., S. 29.

23 Heinrich Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, Leipzig: Hirschfeld 1899, S. 111.

24 Darin folgt ihr Margret Canovan, die ansonsten zu Recht betont, dass Arendt keineswegs, wie es aus vielen Ihrer Äußerungen hervorzugehen scheint, von vornherein eine scharfe Kritikerin des Nationalstaats war. Das Gegenteil ist richtig: Margaret Canovan, Margaret Canovan, Hannah Arendt. A Reinterpretation of Her Political Thought, Cambridge UK: Cambridge Univ. Press, 1992; Canovan, „Is there an Arendtian case for the nation state?“. In: Garrath Williams, Critical Assessments of Leading Political Philosophers: Hannah Arendt, London/ New York: Routledge 2006.

25 Arendt, Elemente und Ursprünge, S. 322 f..

26 Anghie, Imperialism.

27 Nathaniel Berman, „Bosnien, Spanien und das Völkerrecht – Zwischen ‘Allianz’ und ‘Lokalisierung’”, in: H. Brunkhorst, Hg., Einmischung erwünscht? Frankfurt: Fischer 1998, S. 117-142; Anghie, Imperialism; Martti Koskenniemi; The Gentle Civilizer of Nations, Cambridge MA 2001.

28 Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, München 1999; zur Unterscheidung von biologischen (Nationalsozialismus) und kulturellem (Stalinismus) Rassismus vgl. Rolf Zimmermann, Philosophie nach Auschwitz, Reinbeck: Rowohlt 2005.

29 Arendt, Origins of Totalitarianism, S. 646.

30 Niklas Luhmann, Verfassung als evolutionäre Errungenschaft, in: Rechtshistorisches Journal 9/1990, Seiten 176, 180, 184.

31 W. Reinhardt, Staatsgewalt.

32 Friedrich Müller, Die Einheit der Verfassung, Berlin: Dunker&Humblot 1979, S. 142.

33 Zur Unterscheidung der beiden Verfassungstraditionen: Christoph Möllers, Verfassungsgebende Gewalt—Verfassung—Konstitutionalisierung, in: Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, Berlin, 2003, S. 1ff.

34 Vgl. nur C. Schmitt, Legitimität und Legalität sowie Der Hüter der Verfassung; Arendt, Elemente und Ursprünge.

35 Zur Kritik: Friedrich Müller, Die Einheit der Verfassung, Berlin: Dunker&Humblot 1979, S. 141ff; F. Müller, Demokratie in der Defensive, Dunker&Humblot 2001, S. 67.

36 Paradigmatisch Hegel, der im § 209 seiner Grundlinien der Philosophie des Rechts die allgemeinen Freiheits- oder Menschenrechte auf die Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft einschränkt, aber schon ihre abwehrrechtliche Anrufung im Staat zu gefährlich kosmopolitischer Staatsfeindschaft erklärt.

37 Kritisch: Oliver Lepsius, „Religionsfreiheit als Minderheitenrecht in Deutschland, Frankreich und den USA“, in: Leviathan 3/ 2006, S. 321-349.

38 Kritisch: Möllers, Gewaltengliederung, Tübingen 2005; Möllers, Legitime Gewaltenteilung. Nationalstaat – Europäische Integration – Globalisierung, Man. Göttingen 2006, S. 183ff: Die konstitutionalistische Entpolitisierung der Rechte besteht in diesem Fall darin, dass mit der „Aufhebung eines Gesetzes durch ein Verfassungsgericht wegen Verstoßes gegen die Grundrechte dem demokratischen Gesetzgeber eine legitimationsbedürftige Entscheidung über die Freiheitsverteilung aus der Hand genommen“ und (paternalistisch) von einem „demokratisch nicht legitimierten Organ übernommen wird.“ (183) Die Legitimation durch den Gesetzgeber ist in demokratisch herrschaftsbegründenden Verfassungen schon deshalb geboten, weil die „Entscheidung über die allgemeine Reichweite zweier Freiheitssphären“ stets eine Vielzahl von Personen betrifft, so dass sich kaum noch ein „vorpolitischer Bestand an individuellen Freiheiten“ definieren und „von der alle betreffenden demokratisch zu bestimmenden Freiheitsverteilung“ unterscheiden lässt (184). Auch wenn Rechte den Einzelnen vor staatlich exekutierten Mehrheitsentscheidungen schützen sollen, so sind sie doch (einschließlich des Rechts auf Eigentum) kein Privateigentum, sondern von vornherein öffentliche Rechte, die Bürger sich wechselseitig „zuerkennen müssen, wenn sie ihre Beziehungen mit den Mitteln des positiven Rechts legitim regeln wollen.“ (Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, Frankfurt: Suhrkamp 1992, S. 155) Legitim regeln aber können sie diese Beziehungen nur durch die „politisch autonome Ausgestaltung“ dieser Rechte (156f). Egalitäre Freiheitsrechte sind also von vornherein an demokratische Politik gebunden, so dass die Gerichte ihre demokratische Bestimmtheit durch das Gesetz verlieren, wenn sie – wie im Fall der Grundrechtsklage mit faktischem Initiativrecht – am legislativen Anfang und nicht erst am juridischen Ende des Konkretisierungsprozesses, der (mit Müller) Rechtstexte in Rechtsnormen verwandelt, stehen (Möllers, Gewaltenteilung, S. 186).

39 So Arendt auch noch in: Über die Revolution.

40 Kritisch: Andrew Arato in einem noch unveröffentlichten Vortrag zu Arendts Theorie von äußerer Souveränität und Verfassung in Amerika (Yale Univ. 5. Oct. 2006).

41 Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, Stuttgart: Kochler, 1950, S. 289f.

42Arendt, Über die Revolution, S. 183ff.

43 Arendt, Über die Revolution, Seiten 187, 379, FN 7; unter Verweis auf Karl Löwenstein.

44 Arendt, Über die Revolution, S. 187. Normative vs. nominalistic vs. instrumental constitutions see: Marcelo Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, Berlin 1998.

45 Arendt Arendt Macht und Gewalt, S. 45; vgl. Arendt 1974, S. 96

46 Arendt, Vita activa, München 1981, S. 194.

47 Arendt, Über die Revolution, S. 222f.

48Arendt, Vita activa, S. 194.

49Arendt, Über die Revolution, S. 228.

50 Arendt, Über die Revolution, S. 225.

51 Arendt, Über die Revolution, S. 225.

52 Arendt, Über die Revolution, S. 228

53 Arendt, On Revolution, S. 178.

54Arendt Vita activa, S. 194.

55 Arendt Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken 1, München 1994, S. 74.

56 Arendt Zwischen Vergangenheit und Zukunft, Seiten 192, 221.

57 Arendt, Elemente und Ursprünge, letzter Absatz.

58 Arendt, Vom Leben des Geistes, Bd. 2: Das Wollen, München 1979, Seiten 30, 185 ff.

59 Arendt, Zwischen Vergangenheit und Zukunft, 3 S. 63.

60 Arendt, Vita activa, S. 194f)

61 Christoph. Möllers, Der parlamentarische Bundesstaat, in: Föderalismus, München 1997, S. 97.

62 Arendt, Über die Revolution, 193, 200. Zum demokratischen Rätsel jetzt auch: Susan Marks The Riddle of all Constitutions, Oxford: Oxford Univ. Press 2000.

63 Arendt hätte auch, wenn sie sich nicht mittlerweile von der Französische Revolution wegen ihrer massendemokratischen bzw. „sozialen“ Züge abgewandt hätte, auf Sieyes zurückgreifen und damit den verfassungstheoretischen Horizont ihrer politischen Theorie erheblich erweitern können. Aber Arendt deutet Sieyes wie Carl Schmitt als Begründer einer identitären Demokratie. Dagegen mit einer bahnbrechenden Sieyes-Interpretation: Ulrich Thiele, Advokative Volkssouveränität. Carl Schmitts Konstruktion einer ‘demokratischen’ Diktaturtheorie im Kontext politischer Theorien der Aufklärung, Berlin: Duncker&Humblot 2003.

64 Arendt, Über die Revolution, S. 198.

65 Niklas Luhmann, Macht, Stuttgart 1988, S. 30

66 Arendt, Über die Revolution, S. 199.

67 Hermann Heller, Souveränität (1928), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2: Recht, Staat, Macht, Leiden 1971, S. 31-202, hier: S. 39f.

68 Heller, Souveränität, S. 98.

69 J. Habermas, Wahrheit und Rechtfertigung, Frankfurt: Suhrkamp 1999, 62. Zur Permanenz auch: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes – Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts, Frankfurt: Metner 1986; Habermas, Faktizität und Geltung. Der Ausdruck permanente legale Revolution stammt von Justus Fröbels. Dazu: Habermas, “Ist der Herzschlag der Revolution zum Stillstand gekommen?“, in: Die Ideen von 1789, Frankfurt 1989.

70 Arendt, Über die Revolution, S. 193

71 Nicht nur in föderalen Gebilden ist das eine Pluralität von Völkern, die sich ständig neu zusammensetzen. Denn wer ist das Volk der Volkssouveränität? Das sind die durch gleiche Freiheitsrechte immer wieder individualisierten Rechtsadressaten, die sich im gesetzgebenden Willensbildungsprozess jeweils neu zum Volk formieren. Vgl. zu diesem proceduralisierten Volksbegriff: Habermas, Faktizität und Geltung; Ingeborg Maus, Zur Aufklärung der Demokratietheorie, Frankfurt: Suhrkamp 1992; Friedrich Müller, Wer ist das Volk? Eine Grundfrage der Demokratie, Elemente einer Verfassungstheorie VI, Berlin: Duncker & Humblot 1997; H. Brunkhorst, Solidarität. Von der Bürgerfreundschaft zur globalen Rechtsgenossenschaft, Frankfurt: Suhrkamp 2002, Kap. I.3.

72 Arendt, Über die Revolution, Seiten 196, 200.

73 Marks, Riddle of all Constitutions, Seiten 103, 149f.

74 Marks, Riddle of all Constitutions, S. 103.

75 Tom McCarthy, “Philosophy and Critical Theory”, in: D.C. Hoy/ T. McCarthy, eds. Critical Theory, Oxford: Blackwell 1994, S. 21.

76 Marks, Riddle of all Constituions, 2f.

77 Brunkhorst, Hg., Demokratischer Experimentalismus, Frankfurt: Suhrkamp 1998.

78 Zur Transzendenz von Innen: Ali Rizvi, Habermas’ conception of „transcendence from within: An Interpretation“, PhD-Thesis, La Tobe University, Victoria 2007 (unveröffentlicht).

79 Arendt, Über die Revolution, 240ff, 266ff, 360. Das ist auch schon der erste Grund, warum Arendt sich die übermäßig erschwerte Änderbarkeit der Verfassung und die Unveränderlichkeit des Wortlauts zu eigen gemacht hat. Ein weiterer Grund liegt in der sogleich behandelten ontologischen Differenz von Rechten und politischem Handeln.

80 Zur letzteren: Cass Sunstein, After the Rights Revolution, Cambridge: Harvard 1993.

81 Arendt, Macht und Gewalt.

82 Arendt erweist sich auch darin als große und konsequente Philosophin, dass sie diesen Preis zu zahlen bereit ist, wenn sie den konsumistischen Massen vorschlägt, auf ihr Wahrecht zu verzichten, und Politik, Stabilisierung und Erhaltung kommunikativer Macht einer elementarrepublikanischen Elite zu überlassen. Wie sich dann aber die kommunikative Macht der Vielen erhalten und erweitern soll, bleibt ungeklärt.

83 Müller, Einheit der Verfassung, S. 142; Müller, Demokratie in der Defensive, S. 67.

84 Habermas, Wahrheit und Rechtfertigung, S. 63.

85 Arendt, Elemente und Ursprünge.

86 So aber Arendt in ihrer berühmten Formulierung eines Rechts auf Rechte: Arendt, Elemente und Ursprünge.

87 Dazu: Arato, a.a.O.

88 Anghie, Imperialism.

89 Arendt, Wahrheit und Politik.

90 Arendt, Über die Revolution.

91 Arendt, Vita Activa.

92 Dazu: Canovan.