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Ausgabe 1, Band 2 – September 2006

„Behind the praise I hear the tone of our old friendship“

Die Korrespondenz zwischen Hannah Arendt und Alfred Kazin 1947 – 1974

The correspondence between Hannah Arendt and Alfred Kazin. Edited and with an Introduction by Helgard Mahrdt, in: Samtiden No. 1/ Februar 2005, Aschehoug Publishing House, Oslo 2005, S. 107 – 154. Bestellbar über www.samtiden.no. Die Edition steht in Verbindung mit Helgard Mahrdts Buch über „Hannah Arendts politisches Denken im Spiegel ihrer literarischen Porträts“, das voraussichtlich 2006 erscheint. Kontakt: helgard.mahrdt@ifikk.uio.no

Als ob es keines Auftakts bedürfe, als stünden sie seit jeher im Gespräch: „Your excellent review of Kafka in the Herald Tribune“, eröffnet Hannah Arendt im April 1947 die Korrespondenz mit Alfred Kazin, habe sie beglückt. Denn die Besprechung benenne den philosophischen Kern von Kafkas Schreiben: die private Angst der Zeit mit der öffentlichen Realität zu verbinden und den Weg vom eigenen Leiden zu den Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens zu zeichnen. Kazins Artikel erinnerte Arendt außerdem an ein nie eingelöstes „lunch appointment“, so dass sie ihren Brief mit der Aufforderung schließt: „Please call me up soon.“

Arendt und Kazin hatten sich 1946 auf einer Dinner Party bei Elliot Cohen, dem Herausgeber des Commentary, kennen gelernt. Beide schrieben damals für die linke jüdische Zeitschrift und gehörten zum erweiterten Kreis der sogenannten „New York Intellectuals“. Und dies obwohl sie beide als Außenseiter in die Gesellschaft der Metropole gelangt waren: Arendt bekanntermaßen 1941 auf der Flucht vor den Nazis, Kazin als Sohn armer jüdischer Immigranten in Brooklyn.

Nach der Wiederbegegnung mit Hannah Arendt schenkte Kazin ihr ein Exemplar seines ersten Buches On Native Grounds, das den 27jährigen Anfang der 1940er Jahre schlagartig bekannt gemacht hatte. Arendt liest die Sammlung literaturkritischer Essays über amerikanische Erzähler des späten 19. Jahrhunderts allmorgendlich beim Frühstück – und ist begeistert: „I don’t remember that I ever learnt so much about this country with so great delight.” Eine Geste des Dankes und der Wertschätzung, die Kazin Jahre später erwiderte, als er Arendt nach der Lektüre von Between Past and Future mit „my most beloved poets“ auf eine Stufe stellte.

Die Korrespondenzpartner sind sich einig in ihrem beruflichen Selbstverständnis: „writer, not an academic servant“, wie Kazin einmal formuliert. Literatur spielt in ihren Briefen eine wichtige Rolle. Neben Kafka und Broch korrespondieren sie vor allem über amerikanische Autoren, von Melville über Faulkner bis E.E. Cummings. ‚Schreiben’ bedeutet aber nicht nur fremdes, sondern vor allem auch eigenes Schreiben. Alfred Kazin, der die entscheidende Verbindung zu Harcourt and Brace knüpfte, wo dann die Erstausgabe des Totalitarismus-Buches erschien, hilft Arendt beispielsweise auf der schwierigen Suche nach einem geeigneten Titel für das dreiteilige Werk. Auch bei dessen Herstellung trägt er eine wichtige Verantwortung: „going over the manuscript to de-Teutonize many of the ... sentences.“ Als wiederum die Veröffentlichung von Kazins A Walker in the City, dem ersten Teil seiner New-York-Trilogie, ansteht, übernimmt Arendt die Aufgabe, den Sitz der Illustrationen und die Stimmigkeit jiddischer Transliterationen zu prüfen. Mitte der 1950er Jahre ermächtigen Arendt und Blücher den gemeinsamen Freund testamentarisch zum „literary executor“ des englischen Teils ihres Nachlasses; später wird dies auf Mary McCarthy übertragen.

Die Freundeskreise überschneiden sich. Mit vielen Autoren und Intellektuellen sind Arendt und Kazin gleichzeitig befreundet. Dies bedeutet, dass sie in traurigen Momenten gemeinsame Freunde verabschieden müssen. Ihre Erinnerungstexte – zu Randall Jarrell etwa oder zu Dylan Thomas – schicken sich die beiden Briefpartner ins Haus. Als Geste des Schmerzes über den Verlust, aber auch als emphatische Versicherung der Nähe, der Anwesenheit des anderen. „So powerful, and dear“, antwortet Kazin auf Arendts Nachruf zu Waldemar Gurian, „so inimitable, is the passionate voice of your prose.“

Einen der bewegendsten Briefe schreibt Arendt im Juni 1951 nach dem Tod des gemeinsamen Freundes Hermann Broch. Ein Ereignis, das Arendt als „sudden and deep shock“ trifft und zum Nachdenken über „the problem of ‚surviving’“ bewegt. Kann man in dieser Welt leben und überleben ohne Freunde? Arendt antwortet ernst und heiter. Zum einen mit der Geschichte von Brochs Begräbnis, bei dem sich im puritanischen Yale innerhalb kürzerster Zeit eine Schar von Witwen in die Haare geriet, weil keine wusste, dass der Schriftsteller verheiratet war. Zum anderen antwortet Arendt mit einer Erinnerung an Anne Weil, für deren Existenz sie aus einem ganz bestimmten Grunde unendlich dankbar ist: „that it is possible to say at the ripe age of 14: this is going to be my best friend throughout my life, and that it then turns out that this was not youthful romantic but the perfect truth“.

In den 1960er Jahren werden kaum noch Briefe gewechselt; nur acht der vierzig Schriftstücke datieren aus den Jahren bis Hannah Arendts Tod 1975. Das kann damit zu tun haben, dass Arendt und Kazin zu jener Zeit praktisch Nachbarn waren. Beide wohnten nur einige Blocks voneinander entfernt am Riverside Drive von Manhattan, so dass Gespräche am Telefon oder persönliche Verabredungen näher lagen als briefliche Korrespondenz. Der entscheidende Einschnitt in der Verbindung mit Kazin war aber wohl, wie auch in anderen freundschaftlichen Beziehungen Hannah Arendts, ihr kontroverser Bericht über den Eichmann-Prozess. Während einer öffentlichen Diskussion in New York ergriff Kazin zwar als einer der wenigen das Wort und stellte sich den Attacken auf die verehrte Freundin entgegen. In seinen privaten Aufzeichnungen notierte er jedoch – nachdem Arendt ihm das Manuskript des Eichmann-Berichts zu lesen gegeben hatte –, der Ton, in dem sie über die Ermordeten schrieb, „made me suffer“. Eine Beeinträchtigung ihres Verhältnisses ließ sich nicht mehr abwenden, sie waren nicht mehr „the friends we used to be“.

Ihren Höhepunkt erlebte die Freundschaft in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren. Hier tritt in Erscheinung, was Helgard Mahrdt im schönen Vorwort ihrer Briefedition den „transatlantical spirtit“ der Beziehung „[of] the Jewish-American writer Alfred Kazin, and the Jewish-European thinker Hannah Arendt“ nennt. Während er begeistert von einer Reise durch Frankreich und Italien schildert, was ihm die europäische Kultur an Ungesehenem vor Augen führt, berichtet sie über die deprimierende Veränderung der intellektuellen Atmosphäre und der politischen Landschaft im Amerika der Korea-Krise. Als Hannah Arendt in Berkeley unterrichtet, klagt sie dem Freund von den unsinnigen Lehrmethoden, die Studenten mit zahllosen Theorien und überdimensionierten Lektürepensen zu überschütten: „they literally have no time to think or even to read properly.“ Und Alfred Kazin, der sich häufig in Deutschland aufhält und als Gast an der Universität Köln Amerikanistik lehrt, ist verwundert über die philisterhafte Kleinteiligkeit im Denken der Studenten. Dorthin schickt Arendt ihm im einzigen – als Sprachübung für Kazin – auf deutsch verfassten Brief die Bitte, den Ratschlag, die Drohung: „Komm nicht als deutscher Professor nach Hause.“

Die Korrespondenz zwischen Hannah Arendt und Alfred Kazin dokumentiert eine für beide Seiten wichtige Freundschaft, von der man bisher wenig wusste. Eine private Freundschaft, die in Grußformeln wie „I miss you both so much“ oder „yours, wie immer“ ihren Ausdruck findet. Aber auch ein öffentliche Freundschaft, die indirekt in den Texten beider Autoren niedergelegt ist; an den wunderbaren Schriftsteller und literarischen Essayisten Alfred Kazin, Autor der New-York-Trilogie A Walker in The City, Starting Out in the Thirties und New York Jew sowie des Journals A Lifetime Burning in Every Moment zu erinnern, ist der sorgfältig kommentierten Edition ohnehin zu danken. Unbeeindruckt von disziplinären Grenzen politischer Theorie, Philosophie oder Literatur suchen Arendt und Kazin eine Sprache für das eigene Denken. Ein Denken und eine Sprache in einer Zeit, deren „Erbschaft keinerlei Testament vorausgegangen“ ist, wie Hannah Arendt im Vorwort von Between Past and Future mit einem Aphorismus René Chars sagt. Als Kazin jenen Six Exercises in Political Thought 1961 eine Lobeshymne in Harper’s Magazine widmet, antwortet Arendt ihm, am Scheitelpunkt ihrer drei Jahrzehnte langen Verbindung, mit den Worten: „Behind the praise I hear the old tone of our friendship, of those elementary things we always had in common and – obviously – still have. Thank you!”

 

Thomas Wild